Wenn in diesen Tagen neue Automarken (zumeist Modelle mit elektrischem Antrieb) aufploppen, sind es fast immer chinesische Fabrikate. Diese freilich bedienen sich ganz oft europäischer Zulieferer, was nicht selten ihre durchaus solide Qualität erklärt. Nur an der Tradition hapert es, und die spielt für die Emotionalität eines Autos keine ganz untergeordnete Rolle.
Anders ist das bei Fisker. Henrik Fisker, selbst Designer mancher automobiler Ikonen wie Aston Martin DB9 und BMW Z8, ist es zu einem früheren Zeitpunkt bereits gelungen, mit dem Karma ein veritables Fan-Auto auf die Räder zu stellen, das große Bekanntheit erlangte. Die Limousine wurde damals immerhin von Auftragsfertiger Valmet produziert; dort liefen auch namhafte fahrbare Untersätze wie Opel Calibra, Porsche Cayenne und Saab 9-3 vom Band.
Solardach generiert Reichweite während der Standzeit
Und jetzt also wieder ein Fisker. Diesmal ein ziemlich stylisches und ausgewachsenes SUV (man könnte auch sagen Crossover) von 4,77 Metern Länge. Der Allrounder hat sich nicht nur dem Luxus, sondern ebenso der Nachhaltigkeit verschrieben. Na ja, sagen wir mal so: Es gibt etliche Upcycling-Materialien (kennt man von anderen Herstellern mittlerweile auch) und ein Fotovoltaik-Dach als Clou. Diese eingebauten Solarzellen sind allerdings ganz fein. Denn erstens sieht dieses spezielle Dach schön technisch aus und zweitens lassen sich mit seiner Hilfe an sonnigen Tagen angeblich bis zu acht Kilometer Reichweite (täglich) generieren. Dass dieses Feature indes Bestandteil lediglich höherer Ausführungen ist, liegt fast auf der Hand.
Dafür besticht das Grundmodell durch einen erstaunlich günstigen Einstiegspreis: Schon ab 41.223 Euro rollt der Fisker Ocean nämlich zum Kunden. Okay, dafür gibt es lediglich 275 PS und nicht 564 wie bei der hier besprochenen Edition "One" - wer sich das volle Programm gönnt, muss über 60.000 Euro löhnen. Außerdem besitzt der Allrounder eine Stahl- und keine Alukarosse und verzichtet auf einen Frunk (Verstaumöglichkeit unter der Motorhaube), was laut Fisker erhebliche Kosten einspart.
Und was die meisten Kunden leider auch nicht bekommen, weder für Geld noch gute Worte, ist so ein schönes Grazer Kennzeichen, das zeigt, woher der Ocean stammt. Nämlich direkt aus den Produktionshallen des Auftragsfertigers Magna aus der Steiermark - eine mindestens ebenso feine Adresse wie der finnische Konzern Valmet. Hier entsteht beispielsweise auch die G-Klasse von Mercedes.
Selbst in der frühen Phase schon ganz gut
So wundert es auch nicht, dass der Ocean für ein so frühes Modell recht gut beieinander ist. Klar mag hier und da noch Luft nach oben sein. Dennoch gelingt es den Österreichern, ein recht solides Auto auf die Räder zu stellen - der umfangreiche Erfahrungsschatz hilft eben.
Dem Ocean gelingt übrigens der Spagat ganz gut, irgendwie sportlich anzumuten, ohne es an Fahrkomfort fehlen zu lassen. Er fährt ausgewogen und sein Fahrwerk steckt sogar frostgeplagte Asphaltoberflächen gelassen weg. Ein Pluspunkt sind überdies bequeme Sessel - gut für die vier Buchstaben. Ihr ausgefallenes Styling erfreut zudem das Auge. Überhaupt fällt der Innenraum fesch sowie praktisch aus. Die mit einer Art Nubuk bespannten Armaturen verleihen dem Ocean Noblesse, die doppelte Mittelkonsole mit zwei (gut funktionierenden) induktiven Ladeschalen Praktikabilität. Und wenige Handgriffe genügen, um einen kleinen Tisch auszuklappen, den man zum Beispiel während der Ladepause nutzen kann.
Das unten flache Lenkrad sorgt für die sportive Note. Noch einmal ran hingegen müssten die Entwickler an den Antriebsstrang. Volle Last vor allem im Boostmode stellt die Traktionsfähigkeit auf die Probe - beim Allradler sollte es keinen nennenswerten Schlupf geben. Vielleicht wuchten die beiden Triebwerke ihre 737 Newtonmeter Maximaldrehmoment auch nur einen Zacken zu spitz gen Achse. Oder die Trennkupplung bedarf noch einer Portion mehr Feingefühl. Da scheinen jedenfalls ziemliche Kräfte im Antriebsstrang zu wüten, sonst würde Fisker den Boost-Modus nicht auf einige Hundert Mal begrenzen. Eine schwierige Entscheidung, denn das würde ja bedeuten, dass man nach kurzer Zeit schon nicht mehr die volle Leistung abrufen könnten. Hier sollte der Hersteller justieren.
Schön ist, dass die Ingenieure dem Ocean wirklich für jeden Fahrmodus eine spürbar andere Charakteristik verpassen. In "Earth", der Grundeinstellung (die auch nach jedem Neustart aktiviert wird) fährt das SUV betont behutsam an. So kann man sich über "Fun" bis "Hyper" hocharbeiten. Und der 2,4-Tonner kann nicht nur flink geradeaus, sondern wieselt darüber hinaus leichtfüßig um die Ecken, ohne dass man ihm sein Gewicht anmerken würde. Nun kann man darüber streiten, ob die Lenkung vielleicht eine Spur zu synthetisch arbeitet - aber das Gesamtpaket geht schon schwer in Ordnung.
Das Topmodell strotzt vor Performance
Nach dem Austoben mit dem ziemlich performanten Antrieb (vier Sekunden bis 100 km/h und 205 Sachen Topspeed) lasse ich es jedenfalls erst einmal ruhiger angehen und spiele am großen Display herum. Was heißt herumspielen. Ich schaue eben, wie intuitiv ich die Funktionen beherrschen kann und natürlich - Sie wissen, was jetzt kommt - die Spurvibration deaktiviert bekomme. Geht aber ganz ordentlich, die Menüs sind aufgeräumt und nicht zu vollgepackt. Apple CarPlay bietet Fisker aktuell zwar nicht an, woran auch immer das liegen mag. Wer aber Sorge hat, nicht vernünftig gelotst zu werden, sei beruhigt: Die auf TomTom basierende Navigation leistet exzellente Dienste.
Spannend wird es noch einmal angesichts des Ziels, zu dem ich mich führen lasse. Nämlich zur Ladesäule. Die Batterie sollte nach forcierter Autobahnfahrt aber warm sein, ich stecke an. Jetzt war die Neugierde groß, wie der Ocean am Charger performen würde, aber er liefert ganz gut ab. Die Ladeleistung schnellt hoch Richtung 200 Kilowatt - nach zehn Minuten hat der hübsche Stromer Energie für rund 110 Kilometer nachgefasst. Nach weiteren zehn Minuten hat die Reichweite gar um 206 Kilometer zugelegt. Das ist mehr als akzeptabel.
Gleiches gilt für den installierten Stromspeicher aus dem Hause Catl (ganz ohne China geht es wohl doch nicht), der mit nutzbaren 107 Kilowattstunden so viel Energie speichern kann wie kein Wettbewerber dieser Größe. Und so liegt die Reichweite mit 707 Kilometern entsprechend hoch. Das gilt natürlich nur bei moderater Fahrt; der stärkste Fisker Ocean kann sich nicht freimachen davon, mit seiner Leistung auch zu deren Gebrauch anzuregen. Und dann sind 25 kWh pro 100 Kilometer weg wie nichts.
Fazit: Dem Fisker Ocean eine Chance geben oder nicht? Aber ja! Wo gibt es bitte einen stylisch und extravagant gezeichneten Crossover für solch einen fairen Kurs noch dazu mit so viel Batterie? Witzige Schmankerl wie der drehbare Zentralbildschirm, der California-Mode (öffnet mit einem Knopfdruck sämtliche Scheiben) oder das Solardach locken zusätzlich.
Klar, dass der Ocean zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bis zum höchsten Perfektionsgrad ausgereift ist, lässt sich natürlich kaum verleugnen. Aber der Hersteller arbeitet fleißig an Updates und gibt sechs Jahre allgemeine Garantie. Auf die Batterie gewährt er gar zehn Jahre Garantie beziehungsweise bis zu 160.000 Kilometer Laufleistung. Der Fisker Ocean ist nicht zuletzt ein Auto für Enthusiasten mit seiner Story im Hintergrund. Und davon soll es ja insbesondere hierzulande jede Menge geben. Investoren sehen das Projekt momentan offenbar skeptisch. An der Börse ist Fisker in den letzten Monaten erheblich unter Druck geraten. Die Aktie bewegt sich nahe ihres Allzeittiefs.
Quelle: ntv.de
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