Audi E-Tron GT - als RS schnell und teuer, aber unauffällig

  05 Januar 2024    Gelesen: 421
  Audi E-Tron GT - als RS schnell und teuer, aber unauffällig

Mit dem E-Tron GT war Audi schon früh unterwegs im Bereich der elektrisch angetriebenen Mobilität. Wie ist es um die Limousine nach fast einem halben Jahrzehnt Bauzeit bestellt? ntv.de hat den Ingolstädter einem Praxistest unterzogen - als stärkere RS-Variante.

Ganz frisch auf dem Markt erschienene Autos haben immer zwei Seiten. Klar, sie sind attraktiv, weil man das neueste Modell unter dem Hintern hat. Andererseits: Bereits länger gebaute Autos gelten als ausgereifter. Jetzt sind die Maßstäbe bei elektrisch angetriebenen Autos ohnehin andere, weil die zu erwartenden Technologiesprünge hier viel größer sind vor allem im Hinblick auf die Themenkomplexe Batterie und Ladeperformance. Diesbezüglich hatte Audi vor vier Jahren aber schon ganz gut vorgelegt mit dem E-Tron GT. Dem gilt es auf den Zahn zu fühlen.

Aber erstmal wird der Viertürer inspiziert. Und was ins Auge fällt, ist, dass er einerseits richtig fesch und satt dasteht. Anderseits aber ist nichts mit RS-Lametta. Klar, die dicken Ofenrohre eines Verbrenner-RS benötigt er nicht wegen seines Antriebs. Dennoch hätte sich das Designerteam ja ins Zeug legen können, um den stärksten E-Tron extrovertiert aussehen zu lassen. Also noch extrovertierter. So, wie man sich eben einen richtigen RS-Boliden vorstellt. Aber nö. Der lautlose Power-GT ist zwar ein Beau wie aus dem Bilderbuch, aber definitiv mehr elegant als prollig, wenngleich die Techniker ihn nicht ohne Heckdiffusor auf die Straße lassen. Obendrauf gibt es das kleine RS-Logo. Das wars.

Der E-Tron GT kann für Dienstwagenfahrer attraktiv sein

Und innen? Technisch-kühl-sportiv (mit schön viel Touchscreen), aber Audi-typisch akkurat verarbeitet liefert der flache E-Tron, was seine Kunden erwarten dürfen inklusive ordentlich Platz vorn und hinten - vor allem zum nicht ganz trivialen Kurs von 145.500 Euro. Allenfalls eine bestimmte Gruppe von Dienstwagenfahrern dürfte sich die Hände reiben. Und zwar dann, wenn der Arbeitgeber sich um die Anschaffung kümmert (womöglich zum gut ausgehandelten Leasingtarif). Die Pauschalsteuer zulasten des Nutzers wird hier bekanntermaßen lediglich auf Basis des halbierten Bruttolistenpreises erhoben.

Und wie gut, dass dieser J1-Vertreter (so heißt die Plattform, auf der auch der Porsche Taycan fußt) ein Audi ist. Denn hier schlägt der Neidfaktor nicht ganz so arg durch wie bei den Modellen aus Zuffenhausen. Da aber die gleiche Genetik zugrunde liegt wie beim Taycan, ist auch der Ingolstädter fahrdynamisch über alle Zweifel erhaben. Aus Gründen des Respekts bekommt der Oberbayer "bloß" 646 PS, während der Stuttgarter mit 761 PS lossprinten darf. Ha! Jetzt denken Sie aber mal nicht, dass Boost-Punch im Wert von 646 Pferden (830 Newtonmeter) nicht für durchhängende Mägen sorgen würden. Zwar regeln die permanenterregten Synchronmotoren schon nach wenigen Sekunden auf 598 PS herunter, aber dann liegen fast schon 100 Sachen (3,3 Sekunden) an.

Ein kleiner Schönheitsfehler ist, dass dem GT je nach Lebenslage ausgerechnet das automatische Zweiganggetriebe jene Spontaneität kostet, die für elektrische Antriebe eigentlich typisch ist. Zwar ist es keine Gedenksekunde, die mancher starke Verbrenner benötigt, bis er wieder beißt, nachdem ein Gangwechsel erfolgte. Aber eine Gedenkzehntelsekunde kann die Zugkraftunterbrechung dann doch andauern. Klingt wenig, ist aber spürbar und manchmal auch störend. Aber danach zieht der Athlet stramm durch bis zu den abgeregelten 250 km/h.

Vollgestopft mit Fahrwerkstechnik

Dass die Ingenieure den 2,4-Tonner auch querperformant gemacht haben, liegt auf der Hand. Da hilft nicht nur der niedrige Schwerpunkt, sondern ebenso technisches Rüstzeug. Wie beispielsweise die zu 1390 Euro Aufpreis lieferbare Allradlenkung. Mit dieser soll der Ingolstädter nämlich noch dynamischer um Kurven kurven. Das macht er auf Wunsch in der Tat ziemlich fix, wozu allerdings auch die zielgenaue Lenkung ihren Teil beiträgt. Zur Spaßmaximierung auf der windungsreichen Landstraße helfen dann noch einmal die starken E-Maschinen, nämlich beim kräftigen Herausbeschleunigen aus der Kehre.

Um maximale Traktion zu erreichen, verbaut Audi bei der RS-Ausführung ein elektronisch geregeltes, mechanisches Hinterachs-Sperrdifferenzial mit Lamellenkupplung, um Schlupf an den hinteren Rädern bereits im Keim zu ersticken. Um das Tempo wieder einzudämmen, dient in erster Linie die Rekuperation, bei der Bewegungsenergie mit bis zu 265 Kilowatt wieder in elektrischen Strom zurückverwandelt wird. Reicht die Verzögerung nicht aus, wird ohne Zutun des Fahrers auf Reibbremse umgeschaltet. Und wer den GT richtig hart rannehmen möchte (zum Beispiel auf dem Track), bekommt gegen 5600 Euro maximal standfeste Keramikscheiben.

Doch präzise Lenkung hin, brutaler Schub her - kann der E-Tron GT so emotional sein wie etwa ein bollernder RS6? Immerhin fehlt die Klangkomponente. Aber es gibt doch künstlich generierten Sound. Doch ganz im Ernst, den schalte ich so schnell wie möglich aus. Ja, der E-Tron GT ist schon irgendwie emotional - aber die Soundkomponente fehlt irgendwie doch schmerzlich. Da machste nix. Obwohl, doch. Den Tourer einfach auf langen Strecken genießen, die er aus verschiedenen Gründen recht gelassen nimmt. Denn dank seiner stattlichen 2,90 Meter Radstand luftfedert der 4,99-Meter-Liner wellige Autobahnen gekonnt glatt.

Der E-Tron GT ist langstreckentauglich

Aber da wäre noch eine Kleinigkeit, die beim batterieelektrischen Auto viele Menschen umtreibt - gerade bezüglich ferner Reisen. Und hier hat Audi wirklich ganze Arbeit geleistet: Der E-Tron GT gehört zu den frühen Exemplaren mit 800-Volt-Bordnetz. Nominal saugt er demnach Strom mit bis zu 270 Kilowatt. Das ist verdammt schnell. ntv.de hat natürlich einige 300-Kilowatt-Säulen ausprobiert und den Test gemacht. Ist der Akku fast leer und gut temperiert, klappt das sogar mit dem schnellen Laden. Ich starte also bei sechs Prozent State of Start und 21 Kilometern Restreichweite. Nach fünf Minuten schaue ich auf das Display, und der Audi liegt bei ansehnlichen 249 Kilowatt Ladeleistung. Zwanzig Minuten später ist die Reichweite von 21 auf 300 Kilometer geklettert, jetzt ist die Ladepower allerdings auf 118 Kilowatt eingebrochen, der Ladestand beträgt inzwischen 76 Prozent.

Ob das praxistauglich ist oder nicht, mag jeder selbst entscheiden - allerdings schlägt der teure Audi mit dieser Performance immer noch viele (neuere) Wettbewerber sogar in teuren Segmenten. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass die beiden Synchronmaschinen nicht sonderlich effizient arbeiten. Das Datenblatt weist 19,8 bis 22,1 kWh Verbrauch je 100 Kilometer aus. Infolgedessen soll sich der Akku mit 83,7 kWh Nettokapazität nach bestenfalls 496 Kilometer geleert haben. In dieser Liga muss heute mehr möglich sein. Und wer die Leistung ausnutzt, kann auch mal 30 kWh auf der Uhr stehen haben. Wohl dem, der eine Photovoltaikanlage auf dem Dach sein Eigen nennt. Sonst wird das Füttern des E-Tron GT teuer. Aber ein teures Vergnügen ist er ohnehin. Wenn auch ein Vergnügen.

Fazit: Nach vier Jahren Bauzeit ist der Audi E-Tron GT immer noch up to date. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er seiner Zeit bereits bei Erscheinen voraus war - insbesondere bezüglich der Ladeperformance. Was das Infotainment angeht, ist die Limousine sowieso State of the Art mit optionalem Head-up-Display und großem Touchscreen. Außerdem ist der extrem spurtstarke Tourer trotz dynamischer Fertigkeiten durchaus komfortabel und daher prädestiniert als Reisewagen. Bei der Effizienz muss Audi indes nachlegen. Gleiches gilt für die speicherbare Strommenge.

Quelle: ntv.de


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