Mercedes S 63 - S-Klasse von AMG nur noch als Hybrid

  31 Januar 2024    Gelesen: 611
 Mercedes S 63 - S-Klasse von AMG nur noch als Hybrid

Oberklasse im Sportdress? Geht mit dem Mercedes-AMG S 63 E Performance ganz gut. Der Kühlergrill kommt nur noch mit Zentralstern. Doch das dürfte bloß für bestimmte Kunden ein Ausschlusskriterium sein. ntv.de war mit dem ultrastarken PHEV unterwegs.

S-Klasse und AMG - geht das überhaupt zusammen? Zumindest scheint es sich um ein Erfolgsrezept zu handeln, denn es existiert bereits seit Jahrzehnten. Doch wie sportlich kann eine Limousine mit 3,22 Metern Radstand schon sein? Und wie sind 802 PS überhaupt mit dem Umweltgewissen vereinbar? Vor allem letztere Frage mag nicht alle Kunden umtreiben, aber womöglich künftig doch eine kritische Masse potenzieller Käufer in einer teilweise grüner werdenden Welt. Erst einmal ist aber über die Sportlichkeit zu sprechen.

Also ohne großes Vorgeplänkel reingefläzt in den Fahrersitz. Doch Moment, was heißt hier eigentlich Sitz? Fauteuils sind das in der S-Klasse, gegen die die Clubgarnituren in den meisten Wohnzimmern wie dürre Stühlchen wirken. Die Feststellung Nummer eins lautet also: Eine S-Klasse ist auch in der starken AMG-Version kein reinrassiger Sportler, von dem man erwarten würde, dass er ausschließlich maximal rasant um die Kehre hetzt, sondern immer noch ein komfortables Fortbewegungsmittel.

Die neue AMG-S-Klasse brüllt nicht gleich los

Diese Sitze können natürlich auch kühlen und in vielfältiger Weise massieren, doch jetzt wird erst einmal losgelegt. Knopf gedrückt und: Silent Start. Kein Motorengebrüll, dieser lange Zwodreiundzwanzig rollt lautlos an. Klar, es handelt sich um einen Achtzylinder-Hybrid. Sogar um einen Plug-in, aber ohne allzu großen Akku. Bloß 13,1 kWh Strom nimmt der Speicher auf. Damit fasst er die doppelte Strommenge wie der viertürige GT mit dem grundsätzlich gleichen Antriebslayout.

Entsprechend gibt es auch keine Schnelllademöglichkeit mit Gleichstrom (die braucht es nicht), dafür aber verdammt viele Fahrprogramme, die im Zweifel unglücklich machen. Was immer geht, ist, die Batterie schnell leer und schnell wieder voll zu bekommen.

Was ich mache, ist, das Fahrwerk komfortabel arbeiten zu lassen per Individual-Einstellung und den Antriebsstrang eher forsch. Dann rollt der 63er nämlich angemessen sanft über Buckelpisten, was sogar betont sanft bedeutet - und lässt den Vierliter-Achtzylinder (612 PS reine Verbrenner-Leistung) meistens laufen. Denn noch wichtiger, ob ich 1430 Newtonmeter Systemdrehmoment abrufen kann, finde ich, dass die S-Klasse typisch V8-mäßig bollert. Und ja, liebe V8-Fangemeinde, das tut sie, das sei hiermit bestätigt. Wenn ich entscheiden könnte zwischen Hybrid und reinem Verbrenner, würde ich ja schwanken. Aber die Entscheidung, einen ultrastarken Hybrid zu machen, der auch mal lautlos ins Dorf rollen kann und im Alltag nicht ganz so gefräßig ist (wobei er unter forciertem Einsatz auch seine Energie braucht), was wiederum umweltbewusste Klientel mitnimmt, finde ich in Ordnung.

Komplexer Antriebsstrang kostet Souveränität im Alltag

Aber! Und sorry, darüber muss gesprochen werden: In der immer wieder nach jedem Neustart eingestellten Betriebsstrategie fährt der Achtzylinder eher verhalten an bei geringer Last und lässt den Verbrenner möglichst oft im Hintergrund. Damit geht ein Stück Souveränität verloren. Beim reinen V8-Strang, ohne Elektromaschine dazwischengeschaltet, spürst du die Urgewalt des Vierliters schon bei einem Hauch von Gaspedalweg, ohne wirklich schnell fahren zu müssen.

Beim S 63 E Performance ist das nicht so. Du musst die Leistung wirklich bewusst herausquetschen. Sprich: Kickdown aktivieren und dann sortieren sich die 190 PS starke Elektromaschine plus Verbrenner samt Neungang-Automatik erst einmal, bevor es losgeht. Aber dann rennt er natürlich, quittiert tief gedrücktes Pedal mit ungeheurer Wucht. So stehen 100 km/h bereits nach 3,3 Sekunden und die energische Puste reicht bis 290 Kilometer pro Stunde. Traktionsprobleme sind übrigens auch im unteren Geschwindigkeitsbereich keine zu erwarten, denn der 4Matic-Antrieb verfügt über einen physischen Allrad.

Aber immer wieder schwirrt mir während der Fahrt der Gedanke durch den Kopf, was diese S-Klasse eigentlich sein möchte. Eine sportlich angehauchte Express-Sänfte mit luftgefedertem Hightechfahrwerk samt Hinterradlenkung und Wankausgleich? Ja, schon irgendwie. Der mit pizzatellergroßen Bremsscheiben und variabler Lenkübersetzung ausgerüstete 2,6-Tonner ist definitiv mehr Autobahnjäger als Kurvenfresser. Und die Ingenieure vermitteln in ihrer sportlichsten S-Klasse irgendwie so ein wohliges Gefühl "schwerer Wagen", gleichzeitig verströmt das große Schiff eine gewisse Leichtigkeit. So punktgenau muss man erst einmal abstimmen können. Dennoch muss man es definitiv wollen, also mit 5,34 Metern durch die Gegend zu gondeln.

Zwar witscht dieser 223 dank der Allradlenkung (Wendekreis 12,3 Meter) ganz fluffig durch verwinkelte Gassen. Die ultraweit öffnende Ausführung mit zehn Grad Lenkwinkel ist ihm jedoch leider nicht vergönnt aus technischen Gründen. Und in enge Parklücken will trotz er brillanten Kamerabildes aufwendig manövriert werden. Ja, ich weiß, auch das erledigt diese S-Klasse auf Wunsch selbsttätig. Aber ein großes Auto im dichten urbanen Umfeld kann auch Stress auslösen, zumal größere Parklücken ja auch nicht immer leicht zu finden sind. Vorschlag: S 63 als Version mit dem Basisradstand? Scheint die Marktsituation wohl nicht herzugeben.

Trotz irrer Außenlänge: lieber selbst fahren, statt chauffiert zu werden

Vorschlag Nummer zwei: Wie wär's mit einer Chauffeur-Lösung? Das ist natürlich ein bisschen augenzwinkernd gemeint, denn ein 63er macht derartig Spaß, dass man tendenziell selbst am Steuer sitzen möchte. Aber nicht vorschnell urteilen. Ich setze mich jetzt in den Fond. Und das ist ein ziemlich verrücktes Erlebnis mit fetten Bildschirmen und gefühlt einem halben Meter Beinfreiheit. Obwohl, nicht nur gefühlt, das ist ja tatsächlich so die Hausnummer. Und über die geschmeidigen Polster muss ich erst gar kein Wort verlieren, diese Einzelsitze betten den Passagier exakt so wattig wie vorn inklusive Klimatisierung und (Waden-)Massage. Und auf Wunsch lässt sich das luxuriöse Abteil einfach per Knopfdruck mit Fensterrollos abschotten, während man gekühlte oder warme Getränke zu sich nimmt (es gibt eine Getränke-Kühl- und Wärm-Funktion).

Und klar, die üblichen umfangreichen Assistenz- und Infotainment-Funktionen bietet der S 63 analog zu den anderen Modellen natürlich auch. Bedienen lässt sich das Ganze mittels recht intuitivem Menü und per wirklich guter Sprachbedienung. Auf die Augmented-Reality-Einlagen im Kontext mit der Navigation könnte hingegen getrost verzichtet werden. Vor allem ist es so, dass bei Aktivieren dieser Funktion Informationen verloren gehen. Verzichtet man nämlich auf die dann per Kamera eingeblendete Frontperspektive, weist das Display unmittelbar vor dem anstehenden Routenhinweis aus, in welche Richtung oder Straße man einbiegen soll. Mit Ortsbezeichnung und Straßennamen, wohlgemerkt.

Während mit dieser Problematik auch erschwinglichere Mercedes-Modelle zu kämpfen haben und daher eine breitere Masse angesprochen wird, bleibt die sportlichste und stärkste S-Klasse bloß den Kunden mit äußerst strapazierfähigem Budget vorbehalten. Sehr schade. Unter 208.750 Euro geht leider nichts. Macht nichts, der 63er macht auch Spaß, wenn er bollernd vorbeifährt. Und dieses Vergnügen ist schließlich gänzlich kostenlos.

Fazit: Eierlegende Wollmilchsau - S-Klasse im Trainingsoutfit? Mitnichten! Denn auch die sportlichste 223-Ausgabe ist immer noch ein Komfortcruiser erster Güte, wenn auch mit ziemlich strammen Fahrleistungen. Was die handwerklichen Belange angeht, ist der Schwabe über alle Zweifel erhaben, hier gibt es wirklich nichts auszusetzen am Finish und der Verarbeitungsqualität. Dass der jüngste AMG-Luxusliner seinen Haubenstern verloren hat, ist schade. Warum lässt Mercedes den Kunden hier keine Wahl wie bei anderen Modellen? Dass der Grundpreis knackig ist, gebieten Ausstattung, Komfort und Performance. Und Traumautos erlangen ihren Status ja schließlich kaum durch Erschwinglichkeit.

Quelle: ntv.de


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