Kurzatmig, halbherzig und hoffnungslos überteuert - genau wie bei den PKW war auch bei den leichten Nutzfahrzeugen die erste Generation der Elektromodelle eher eine leidige Pflichtübung, die am Markt entsprechend verpufft ist. Doch die Zeiten ändern sich auch an der Laderampe - die Batterien werden größer, die Reichweiten alltagstauglicher, die Preise sinken zumindest ein bisschen und genau wie im PKW gibt es sogar die ersten Transporter, die explizit um den Elektroantrieb herum entwickelt wurden. Kein Wunder also, dass Kurierfahrer bald öfter "Stille Post" spielen werden, selbst die Vertreter schmutziger Handwerkszünfte sauber zur Baustelle kommen. Diese fünf Fahrzeuge haben das Zeug zum Treiber der Entwicklung.
Mercedes eSprinter: Schwabe unter Strom
Die eigene Elektro-Architektur bekommen sie zwar erst in zwei Jahren. Doch weil Mercedes darauf nicht warten will, haben die Schwaben jetzt den Sprinter überarbeitet und ihn mit größeren Akkus und einem modularen Aufbau für mehr Variantenvielfalt fit gemacht: Wo bis dato bei 47 kWh Schluss war, hat nun schon die kleinste Batterie 56 kWh und ermöglicht statt gut 150 immerhin 220 Kilometer. Darüber bietet Mercedes noch einen 81 kWh Akku für 310 an und installiert im Topmodell 113 kWh für 440 Kilometer.
Auch bei den Motoren haben die Kunden die Wahl: Es gibt eine elektrische Hinterachse mit 136 PS und 204 PS. Beide Versionen sind von Hause aus auf 90 km/h limitiert, können aber für 120 km/h freigeschaltet werden. Geladen wird an der DC-Säule bis 115 kW und am Wechselstrom mit 11 kW.
Los geht es zwar mit einem Kastenwagen mit zwei Radständen und zwei Dachhöhen. Doch sind später vom Kleinbus bis zum Wohnmobil alle Karosserievarianten vorgesehen. Doch einen Haken hat die Sache immer noch: Den Preis. Offiziell beginnt der bei 71.300 Euro, reicht bis deutlich über 100.000 Euro und liegt damit auf dem Niveau eines EQE. Dass es damit schwierig werden könnte, wissen auch die Schwaben und räumen Privatkunden und Kleinflotten deshalb schon im Konfigurator großzügige Rabatte ein.
Opel Movano electric: Willkommen im Club der 400er
Auch Stellantis macht gerade einen großen Entwicklungsschritt an der Ladesäule und bringt den Opel Movano genau wie seine Schwestermodelle bei den anderen Konzernmarken in den Club der 400er. Denn die Batterien mit 37 oder 70 kWh werden ausgemustert und durch ein Akkupaket mit 110 kWh ersetzt. Damit wächst der Aktionsradius um bestenfalls 170 auf jetzt dann 420 Norm-Kilometer - und zwar ohne Kompromisse beim Laderaum, der weite bis zu 17 Kubikmeter fasst. Nur die Nutzlast geht mit dem zentnerschweren Energiepaket unterm Ladeboden in den Keller. Statt bis zu 2000 Kilo beim Diesel kann der elektrische Movano nur 1500 Kilo schultern.
Aber nicht nur der Akku wird stärker, auch beim Motor legen die Hessen nach: Statt bislang magere 122 ist der große Stromer jetzt 270 PS stark und beschleunigt mit bis zu 400 Nm entsprechend Flotter auf das Limit von 130 km/h. Apropos flott: Auch beim Laden macht der Movano Tempo und zieht den Strom jetzt mit bis zu 150 kW aus der DC-Säule.
Weil aber auch so noch 55 Minuten für die Ladung bis 80 Prozent vergehen, hat Stellantis als einer der ganz wenigen Hersteller noch eine Alternative für eilige Kunden im Angebot, die trotzdem was fürs Klima tun wollen, und rüstet den Movano deshalb auch mit Brennstoffzelle aus: Dann wird der Strom an Bord aus Wasserstoff erzeugt und das Tanken dauert nicht einmal fünf Minuten.
Ford E-Transit Custom: Bestseller mit Batterie
Er ist der Europameister unter den Transportern. Denn kein anderer Lieferwagen verkauft sich auf dem Kontinent so gut wie der Ford Transit - bislang allerdings fast ausschließlich als Diesel. Doch jetzt drängt der Bestseller mit aller Macht an die Ladesäule: In der Türkei bauen die Kölner künftig eine neue Elektro-Version ihres Multitalents und spendieren ihm dafür Akkus mit 74 kWh, die nicht zuletzt wegen der serienmäßigen Wärmepumpe eine Normreichweite von maximal 380 Kilometern ermöglichen. Geladen wird mit bis zu 125 kW und den Antrieb übernehmen E-Maschinen an der Hinterachse, die wahlweise 135 oder 217 PS leisten.
Zwar rühmt Ford die gute Integration der E-Technik, die zu möglichst wenig Kompromissen bei Ladevolumen und Variabilität führen soll. Aber die Kölner wollen beim Transit Custom nicht nur mit dem sauberen Antrieb punkten, sondern bieten auch sonst viel smarte Technik. Das beginnt beim 5G-Modul, reicht über den digitalen Schlüssel und den Delivery-Assistenten, der zahlreiche oft genutzte Funktionen und Einstellungen in einem Befehl bündelt, bis hin zum werkseigenen Telematik-Dienst für ein effizientes Flottenmanagement. Weil die Markteinführung erst für den Sommer geplant ist, behalten sie den Preis noch für sich.
Renault Master: Der Aerovan unter den Kastenwagen
Von wegen quadratisch, praktisch, gut - wenn Renault in diesem Sommer die nächste Generation des Master an den Start bringt, wird der Kastenwagen zum beinahe windschnittigen Aerovan. Die vergleichsweise runde, fast futuristische Front macht ihn nicht nur zum Blickfang an der Laderampe, sondern drückt vor allem den Luftwiderstand und steigert so die Reichweite. Obwohl der Akku mit 87 kWh deutlich kleiner ist als bei der Konkurrenz, schafft der 130 oder 143 PS starke Franzose damit deshalb bis zu 460 Kilometer, bevor er an die Ladesäule muss. Auch dort gehört der Master zu den Meistern: 130 kW am Gleichstrom sind gehobener Durchschnitt und 22 kW am Wechselstrom weitgehend konkurrenzlos.
Wer nur auf die Kurzstrecke geht, erhält den Master auch mit 40 kWh für etwa 300 Kilometer Reichweite und dürfte entsprechend billiger davonkommen. Je nach Akku und Aufbau liegt die Nutzlast bei 1625 Kilo und die Anhängelast bei 2,5 Tonnen. Der Master kommt übrigens nicht alleine. Während die Allianz mit Nissan bei den PKW-Baureihen immer lockerer wird, halten die Partner bei den Nutzfahrzeugen weiter eng zusammen und bringen den Kastenwagen deshalb auch als Interstar mit Nissan-Logo.
Rivian EDV: Erst für Amazon, dann für alle
Electric Delivery Van EDV - er hat zwar einen langweiligen Namen, aber dafür eine spannende Geschichte. Denn der elektrische Lieferwagen des US-amerikanischen Startups Rivian ist eines der ersten Nutzfahrzeuge in diesem Segment, das explizit und ausschließlich für den Elektroantrieb entwickelt wurde und mit dem im Skateboard-Boden integrierten Antrieb und der geräumigen Kabine entsprechend wenig Kompromisse macht.
Aber die Skateboard-Plattform ist nicht das einzige Alleinstellungsmerkmal für den EDV. Auch die Genese des knuddeligen Raumwunders mit der für mehr Reichweite rundgelutschten Frontpartie und den charakteristischen Knopfaugen: Denn Auftraggeber für die Entwicklung war Versandriese Amazon, der für seine Niederlassungen und Partner in aller Welt zehntausende Exemplare in unterschiedlichen Größen bestellt hat, um seinen CO2-Fußabdruck zu schrumpfen. In Deutschland sind mittlerweile die ersten paar 100 Fahrzeuge angekommen. Mit guten sechs Metern Länge sind sie zwar auf europäische Verkehrsverhältnisse zurechtgestutzt, bieten aber trotzdem 14 Kubikmeter Ladevolumen und bei einem zulässigen Gesamtgewicht von 4,2 Tonnen eine klassenübliche Nutzlast.
Die Energie für auch im Winter solide 200 Kilometer Fahrstrecke liefert ein 100 kWh großer Lithium-Eisen-Phosphat-Akku, der eine E-Maschine mit knapp 200 PS speist. Das Spitzentempo ist auf Kundenwunsch auf 112 km/h limitiert und geladen wird mit maximal 50 kW, weil Amazon keine Nachtschichten macht und der EDV so bis morgens wieder voll ist.
Zwar hat Rivian mit der Produktion für Amazon mehr als genug zu tun. Doch mittlerweile öffnen sich die US-Amerikaner auch für andere Kunden - und wollen den Lieferwagen deshalb bald auch frei verkaufen.
Quelle: ntv.de, Benjamin Bessinger, sp-x
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