Ein politischer Tornado fegt durch Washington und die westliche Welt. Donald Trump hat am Dienstag einen Handelskrieg in der eigenen nordamerikanischen Freihandelszone losgetreten, zuvor die Verbündeten im Ukraine-Verteidigungskrieg in Europa brutal vor den Kopf gestoßen und einen Konflikt über das Ausmaß seiner Macht forciert, der die Vereinigten Staaten für immer verändert. Nun, sechs Wochen nach seiner Vereidigung, hält der US-Präsident erstmals eine große Rede im Kongress.
Hinter dem noch leeren Rednerpult plaudert dessen Vize J.D. Vance mit Mike Johnson, dem Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus. Trump wird gleich hereinkommen, winken, Hände schütteln, vom Rednerpult sagen: "Amerika ist zurück!" Er wird behaupten, dass er mit seinen Maßnahmen bereits mehr erreicht hat als andere Präsidenten in vier oder acht Jahren. Die ersten Wochen seien "schnelles und unerbittliches" Vorgehen gewesen, "und das ist erst der Anfang". Elon Musk, in Anzug und Krawatte auf dem Besucherrang, wird ihm applaudieren.
Seit Trump am 20. Januar seinen Amtseid ablegte, haben er und seine rechte Hand Musk mit einem fast täglichen Feuerwerk aus Ankündigungen, Drohungen und Dekreten einem Großteil der US-Amerikaner einen Schock nach dem nächsten in die Knochen gejagt. Der US-Präsident begann seine zweite Amtszeit mit einer Zustimmung von durchschnittlich 50 Prozent, 8,3 Prozentpunkte mehr, als ihn ablehnten. Inzwischen sind es 47,8 Prozent Zustimmung - nur noch 0,1 Prozentpunkte mehr.
Erneuerte imperiale Ansprüche
Trumps mehr als eineinhalbstündige Rede in Überlänge zeigt, worum es ihm und seiner Regierung voller treuer Gefolgsleute in der Hauptsache geht: um Zölle und die heimische Industrie, Abschiebungen von Migranten und die Grenze sowie den Kulturkrieg gegen "woke". Immer wieder reißt es seine Republikaner begeistert von den Bänken. Die Demokraten wirken größtenteils paralysiert. Den Ukraine-Krieg erwähnt er auch. Er nutzt ihn zusätzlich als Vehikel, um gegen die Demokraten und seinen Vorgänger Joe Biden zu wettern. Doch bis er zu diesem außenpolitischen Teil kommt, werden seine Ausführungen schon mehr als eine Stunde gedauert haben.
Er berichtet von einem Brief von Wolodymyr Selenskyj, der ihm zugestellt worden sei. Darin habe Ukraines Präsident geschrieben, er sei bereit für Friedensverhandlungen mit Russland und zur Unterzeichnung des Rohstoff-Abkommens mit den USA. Trump erklärt, er spreche zugleich mit Moskau: "Wenn man einen Krieg beenden möchte, muss man mit beiden Seiten reden." Als er das Geld erwähnt, das die USA für die Verteidigung der Ukraine ausgegeben habe, applaudieren plötzlich die Demokraten anhaltend - das einzige Mal. Trump beäugt die Opposition und schnappt irgendwann: "Wollen Sie das noch fünf Jahre weitermachen?"
Neben dem Ukraine-Krieg pocht Trump erneut darauf, dass er den Panamakanal "zurückholen" werde. Zuvor war bekannt geworden, dass ein vom US-Konzern Blackrock angeführtes Konsortium zwei Häfen von einem Unternehmen aus Hongkong übernehmen soll. Zu Grönland sagte er mit mysteriösem Unterton, die USA bräuchten es für die nationale Sicherheit und würden es "so oder so bekommen". Kurz davor hatte er noch betont, seine Regierung respektiere die souveräne Entscheidung der Insel über ihre Zukunft und versprach: "Wir sichern euch ab und wir machen euch reich."
"Sie haben kein Mandat!"
Den größten Skandal dieses Abends hatte es direkt zu Beginn seiner Rede gegeben. Als Trump sagt, er habe die Wahl deutlich gewonnen und ein starkes Mandat, protestieren die Demokraten, aber die Republikaner brüllen sie mit "U-S-A"-Rufen nieder. Es ist ein Schauspiel, das kurze Zeit später noch unwürdiger wird. Da fuchtelt der demokratische Abgeordnete Al Green stehend mit seinem Gehstock in Richtung Trump und ruft: "Sie haben kein Mandat, um Medicaid zu kürzen!"
Damit bezieht Green sich auf die Pläne der Republikaner, mit Kürzungen bei der staatlichen Krankenversicherung für Niedrigverdiener die beabsichtigten Steuersenkungen zu finanzieren. Johnson ruft den Demokraten zur Mäßigung auf, doch der lässt sich nicht beirren. Als der Republikaner anordnet, ihn aus dem Saal entfernen zu lassen, springen sein Sitznachbar Vance und die Republikaner freudig applaudierend auf. Darunter Marjorie Taylor Greene, die bei Biden ähnlich gestört hatte, aber bleiben durfte.
Lesefehler statt flächendeckender Betrug
Trump mäandert danach immer wieder wahlkampfähnlich durch seine Ausführungen. Er behauptet, seine Regierung habe eine katastrophale Wirtschaft und einen Inflationsalbtraum von Biden übernommen. Das stimmt nicht, die Daten zeigten eine stabile Entwicklung und das größte Wirtschaftswachstum der westlichen Welt. Als Trump lange Minuten lang Musk preist, der die Staatsausgaben um jeden Preis schrumpfen soll, rattert der Präsident in abfälligem Ton eine lange Liste entdeckter, seiner Ansicht nach überflüssiger Hilfszahlungen an andere, meist afrikanische Länder, herunter. Dabei beleidigt er auch den Staat Lesotho, "von dem noch nie jemand gehört" habe. Auf der Tribüne freut sich Musk.
Trump behauptet in dem Zusammenhang, Millionen US-Amerikaner würden Sozialleistungen erhalten, die gar nicht mehr lebten. Mehr als 130.000 Menschen seien demnach über 160 Jahre alt, eine Person sei mindestens 240 Jahre alt, eine 360 Jahre. Die grinsenden Vance und Johnson schütteln missbilligend ihre Köpfe. Allerdings haben Musks Mitarbeiter ehemaligen Ministeriumsmitarbeitern und IT-Experten zufolge die Daten nicht richtig interpretiert; der angebliche Betrug existiert demnach nicht. Es gibt viele weitere solcher Fälle. Der reichste Mann der Welt hat enorme Unruhe bei den Behörden ausgelöst - unter anderem legte er mehr als 2 Millionen Regierungsmitarbeitern im ganzen Land die Kündigung nahe.
Trump verspricht vom Rednerpult die Schwarze Null im Staatshaushalt, doch der Plan, den die Republikaner vergangene Woche im Repräsentantenhaus vorlegten, würde das Defizit um 2,5 Billionen Dollar erhöhen. Gegenfinanziert solle es unter anderem mit der "Gold Card", einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für 5 Millionen Dollar, die jeder erwerben könne. Verabschiedet der Kongress nicht bis zum 14. März einen Nothaushalt, werden eine Reihe von Behörden die Arbeit einstellen, bis die Finanzierung gesichert ist und wieder Gehälter bezahlt werden können.
Trump lobt seine Zölle und welche Investitionen in der Industrie sie angelockt hätten - 500 Milliarden Dollar von Apple, 165 Milliarden Dollar vom taiwanesischen Chiphersteller TSMC für ihre Produktionen in den USA. Alles ohne Subventionen. Er verteufelt Migration und behauptet, Mexiko sei "unter totaler Kontrolle" von Kartellen. "Die Kartelle führen Krieg gegen Amerika, und es ist an der Zeit für Amerika, Krieg gegen die Kartelle zu führen." Deshalb bitte er den Kongress, seine "größte Abschiebeaktion in der amerikanischen Geschichte" zu finanzieren.
Zum Ende erwähnt Trump noch mehrere US-amerikanische Gründungsmythen: die Pioniere, die Eisenbahn, die "Frontier", die Golden Gate Bridge, lobt die industrielle Revolution und die Siege gegen Kommunisten, Faschisten und Marxisten. Der Republikaner lässt sich nicht lumpen und stellt sich in diese Reihe. "Das goldene Zeitalter von Amerika hat gerade erst begonnen", meint er.
Quelle: ntv.de
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