181.000 Menschen kamen im vergangenen Jahr in Italien an - 90 Prozent davon über Libyen. EU-Vertretern zufolge wird geschätzt, dass derzeit 300.000 bis 350.000 Flüchtlinge in dem nordafrikanischen Land auf die Überfahrt nach Europa warten.
"Wenn der Kern des Türkei-Abkommens im zentralen Mittelmeer nicht kopiert wird, wird Europa einer großen Flüchtlingskrise gegenüberstehen", warnt der maltesische Ministerpräsident Joseph Muscat. Dann könnten die "Kernprinzipien" der EU "ernsthaft auf die Probe gestellt werden": Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und den Niederlanden stehen dieses Jahr Wahlen an - ein neues Flüchtlingschaos würde Populisten und Radikalen in die Hände spielen.
Türkei-Abkommen als Vorbild
Den EU-Staaten ist allerdings klar, dass sie das Türkei-Abkommen, das die Ankunftszahlen in Griechenland drastisch gesenkt hat, nicht eins zu eins auf Libyen übertragen können. "Dafür ist die innenpolitische Lage zu schwierig", sagte ein Diplomat.
Nach jahrelangem Chaos und Kämpfen verfeindeter Milizen gibt es seit März 2016 in Libyen zwar eine Einheitsregierung. Sie hat aber weite Teile des Landes nicht unter Kontrolle. Das macht es den Schlepperbanden leicht, und viele Milizen verdienen gut an dem Geschäft. Der EU fehlt dagegen ein einheitlicher Ansprechpartner. Schon jetzt werden deshalb viele EU-Hilfsprojekte auf lokaler Ebene vereinbart.
Vergangene Woche stellte Malta ein erstes Diskussionspapier zu Libyen vor. Es dient der Vorbereitung des EU-Gipfels am 3. Februar in der Hauptstadt Valetta, am Donnerstag beraten auch die Innenminister darüber. Die Eckpunkte: mehr Geld für Rückkehrprogramme für Flüchtlinge, eine "Schutzlinie" in libyschen Hoheitsgewässern und die "radikale Verstärkung" des Kampfes gegen Schlepper.
Keine "Sofortlösung" in Sicht
Die außerhalb libyscher Hoheitsgewässer tätige EU-Marine-Mission "Sophia" hat diesen Auftrag bislang nicht erfüllt. Für einige EU-Länder ist sogar das Gegenteil der Fall: "`Sophia` hat klar Sogwirkung erzeugt", sagt ein Diplomat. Die EU-Schiffe seien Teil des Kalküls der Schleuser. Sie schleppten Flüchtlingsboote in internationale Gewässer und setzten Notrufe ab, damit die Europäer die Menschen retten und nach Italien bringen.
Für den maltesischen EU-Vorsitz gibt es deshalb zwei Optionen: Entweder "Sophia" in libysche Hoheitsgewässer auszuweiten, um die Schleuser dingfest zu machen. Oder die "Schutzlinie" nahe den Ausgangshäfen mit "libyschen Kräften" und EU-Unterstützung aufzubauen. Beides gilt als politisch und praktisch schwierig, die zweite Variante hätte für die EU aber einen Vorteil: Werden die Flüchtlinge von libyschen Schiffen aufgenommen, könnten sie nach Libyen zurückgebracht werden.
Dieses Ziel geben seit Monaten insbesondere Österreich und Ungarn aus. Aber auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière fordert trotz Protesten von Hilfsorganisationen längst Aufnahmelager in Nordafrika für auf See gerettete Flüchtlinge.
Trotz aller Vorbehalte und Schwierigkeiten - die EU sieht sich unter massivem Handlungsdruck. "Alle sehen, dass im Frühling die Überfahrten wieder zunehmen werden", sagt ein Diplomat, "Wir müssen etwas tun - zur Not auch mit unkonventionellen Mitteln".
Für den Malta-Gipfel hat am Mittwoch auch die EU-Kommission Vorschläge unterbreitet, die auf eine Stärkung der Küstenwache und des Grenzschutzes in Libyen zielen. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini warnt aber, es gebe in der Flüchtlingskrise "keine Sofortlösungen". Ein Ende der Flucht könne es nur durch "wirtschaftliche Entwicklung in Afrika" geben.
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