VW Arteon - schönster Wolfsburger im Test

  17 November 2017    Gelesen: 1215
VW Arteon - schönster Wolfsburger im Test
Autos aus Wolfsburg bestechen eher durch solide Bauart und Zuverlässigkeit als durch eine ausgefallene Optik. Der Nachfolger des VW CC bildet eine Ausnahme. Schön wie kein anderer, will der Arteon eine Alternative zu Mercedes CLS oder Audi A7 sein.
Es ist schon eine Krux. Seitdem VW versucht, abseits seiner Premiummarken Audi und Porsche den Fuß in die schwere Luxustür zu bekommen, klemmen sich die Wolfsburger regelmäßig ein. Dabei ist das ungerecht. Denn der Phaeton war alles andere als ein schlechtes Auto. Und auch der Passat CC, den man später nur noch Volkswagen CC nannte, um ihn vom Alltagsbruder deutlich abzugrenzen, war ausgesprochen schön, aber absolut kein Knaller bei der verwöhnten Premiumklientel.

Droht dem VW Arteon ein ähnliches Schicksal? Der Wagen ist ein Traum an ausgewogenen Proportionen, scharfen Kanten und fließenden Linien. Er wirkt riesig, einmal mehr, wenn er mit 20-Zoll-Felgen besohlt ist, steigt benzinseitig mit einem 190 PS starken Vierzylinder ein, den man aber gerne auch als 280-PS-Überflieger ordern kann. Mit dieser Powerunit, die ordentlich Druck macht, und der guten Verarbeitung scheint auf den ersten Blick alles stimmig und weist ganz klar in Richtung Premium.

Doch nur ein Passat?

Aber schon wenn man den schicken Wolfsburger besteigt, wird klar: Das kennt man doch alles vom Passat. Und tatsächlich, der Arteon adaptiert den Alltagsbruder gnadenlos. Das ist nicht schlecht, denn der Liebling der Geschäftsreisenden ist ein super Auto. Er hat alles, was sich der Fahrer von einem Fahrzeug diese Klasse wünscht und sogar noch einiges darüber hinaus. Für den Arteon ist es wiederum zu wenig, denn aus dem gleichen Haus steht ihm eine Stufe höher nicht nur ein bis unter die Dachkante aufgerüsteter Audi A7 im Weg. Auch ein Skoda Superb Sportsline mit einem 280 PS starken Triebwerk ist im Angebot und kostet unterm Strich knapp 5000 Euro weniger. Das könnte für Arteon-Interessenten, die für den bei n-tv.de vorgefahrenen Tester alles in allem 60.315 Euro ausgeben müssten, nur ein kleiner Schritt zurück.

Doch wer ganz genau hinsieht, kann sich den Wolfsburger Gran Tourismo dann doch richtig schöngucken und findet einiges, was weder Superb noch Konkurrenten wie zum Beispiel ein Opel Insignia bieten. Tief in die extrem gut ausgeformten Lederpolster der Ausstattungslinie Exclusive gesogen, freut sich der Fahrer nicht nur über den exzellenten Halt der Seitenwangen, sondern auch über die verlängerte Oberschenkelauflage und eine Massagefunktion, die diesen Namen auch verdinet. Das Lederlenkrad ist griffig, Knöpfe und Schalter sind an den richtigen Stellen und zur Rechten fällt der Blick auf einen 9,2 Zoll großen TFT. Interessant, dass die Symbole zur Steuerung des DAB-Radioempfangs, des Navis, Telefon und des Setups für Fahrwerk und Motor ganz schlicht, ja eigentlich monochrom sind. Das wirkt mit Blick auf die kribbelbunten Displays der Mitbewerber zurückhaltend-elegant.

Beim Head-up-Display geht Premium anders


Auch die sich über die gesamte Breite des Dashboards ziehenden Luftauslässe mit unterlegten und strukturierten Intarsien machen im Zusammenspiel mit der Analoguhr oberhalb der Mittelkonsole echt was her. Nimmt man dann noch das volldigitale Display mit Tacho, Drehzahlmesser und auf Wunsch Navi ins Visier, wird das Bild rund und ein Head-Up-Display nicht vermisst. Wobei es das natürlich auch gibt. Auf Wunsch fährt es per Knopfdruck oberhalb des Dashboards aus. Na gut, Premium geht eigentlich anders. Normalerweise werden die Fahrdaten in die Windschutzscheibe projiziert und nicht auf ein extra Plexiglaskärtchen, das für 565 Euro zusätzlich erworben werden muss.

Warum das so ist? Nun, VW hatte seinerzeit für den Arteon kein Head-up-Display vorgesehen. Als man dann merkte, dass es in diesem Segment State of the Art ist, war es zu spät. Um den Schaden zu begrenzen, wurde mit der oben beschriebenen Hilfsvariante nachgerüstet. Aber ganz ehrlich - das Geld kann man getrost sparen, denn die relevanten Infos gibt es fein aufbereitet im volldigitalen Zentraldisplay. Vorausgesetzt, man macht das entsprechende Kreuz in der Optionsliste. Doch wie dem auch sei, der Arbeitsplatz des Fahrers ist in sich schlüssig, funktional und ja, in seiner Klarheit irgendwie auch schön. Aber - und da ist es wieder - das gibt es im Passat auch. Auch im Skoda Superb sieht es nicht viel anders aus. Selbst die murkeligen Schaltwippen zur manuellen Gangwahl dürfen beim Arteon wie beim Superb bemängelt werden.

Sportlich und sparsam

Natürlich sind das alles keine Ausschlusskriterien, denn fahrtechnisch hat der schnittige Wolfsburger auch einiges zu bieten. Der stärkste Benziner trumpft mit schon erwähnten 280 PS auf und reicht 350 Newtonmeter an alle vier Räder weiter. Das garantiert auch bei volldurchgetretenem Gaspedal aus dem Stand einen kavalierstartfreien Sprung aus den Blöcken. In nur 5,9 Sekunden fliegt der Arteon an der 100-km/h-Marke vorbei und beschleunigt sich auf Wunsch bis auf 250 km/h. Das geht im Sportmodus natürlich deutlich kraftvoller als im Komfortprogramm. Hier gönnen sich die Turbolader und das automatische 7-Gang-Getriebe doch eine Sekunde, bis sie den durch den Gasfuß geforderten Vortrieb umsetzen.

Den dynamischen Lauf quittiert die Verbrauchsanzeige übrigens auch mit einer Ausgabe im zweistelligen Bereich. Zwischen 10,8 Liter und 12,0 Liter sind dann die Regel. Das ist bei den Leistungsparametern nicht verwerflich, aber umso schmerzlicher, als dass VW möchte, dass in den Tank teures Super Plus gefüllt wird. Im Kleingedruckten geht auch Super. Als Entschädigung gelingt es dann aber auch, bei verhaltener Fahrweise den Konsum auf schlanke 8,4 Liter zu drücken. Im Schnitt wurde der Arteon im Testzeitraum über die obligaten 1000 Kilometer mit 9,8 Litern bewegt.

Wer also sparen will und nicht den sportlichen Moment sucht, wird auch von der Komforteinstellung begeistert sein. Der Arteon glänzt nämlich dank seines serienmäßigen DCC-Fahrwerks, dessen Spreizung der Adaptivdämpfer größer als im Passat ist, mit einem ausgezeichneten Abrollverhalten, federt Querfugen fast unmerklich weg und sorgt auch auf Kopfsteinpflaster für einen angenehm stoßarmen Lauf. Zudem erfreut das Coupé mit einer unglaublichen Geräuschdämmung, die dann doch Premium-Feeling hat.

Keine Soundexperimente

Akustisch versucht VW, mit dem Vierzylinder künstlich dort anzuknüpfen, wo der 3.0-Liter-V6 des CC auf natürliche Weise grollte. Um hier aber keine falschen Hoffnungen zu wecken, haben die Sounddesigner den Moment des sportlichen Aufwallens kurzweilig gestaltet. Laut wird es im Wolfsburger Luxusgleiter jedenfalls nie. Und das wirkt auch gar nicht störend. Die Aufmerksamkeit der Passanten hat der Fahrer auf der Straße ja bereits durch die auffallende Optik und künstliches Sportgebrumme im Innenraum nervt ohnehin eher, als das es die Insassen auf Dauer begeistert.

Begeistert dürften die aber vom allgemeinen Platzangebot sein. Der Radstand, der fünf Zentimeter über dem des Passat liegt, bringt vor allem den Fondpassagieren ein üppiges Raumgefühl. Auch hinter der weit abtauchenden Heckklappe findet sich für ein Coupé mit 563 Litern ein üppig dimensionierter Kofferraum. Der kann bei ungelegter Rücksitzlehne auf 1557 Liter erweitert werden. Dass man bei einem Grand Tourismo im Gepäckabteil nicht hoch bauen kann, dürfte selbstverständlich sein. Das Sofa aus dem Möbelhaus kann hier also nicht abgeholt werden, aber das geht mit einem Mercedes CLS ebensowenig wie mit dem schon erwähnten Audi A7.

Feine Assistenten

Mit dem und den Kollegen aus Zuffenhausens teilt sich der Arteon auf Wunsch aber eine ganze Armada an Assistenzsystemen, die es zum Beispiel im Superb nicht gibt. Wie dort arbeitet die automatische Abstandsregelung ACC bis zu einer Geschwindigkeit von 210 km/h, nutzt aber jetzt die Infos des Navis, um die Geschwindigkeit vor engen Kurven oder Kreisverkehren selbständig zu drosseln. Bei entsprechender Eingabe bremst der Wagen zudem auf das durch die Verkehrszeichen verordnete Tempo ab. Leider ist die Menüführung hier alles andere als intuitiv. Und wer sich nicht intensiv mit den Tastenkombinationen beschäftigt, wird nie sicher sein, ob sein Wagen tatsächlich vor der Kurve bremst oder mit vollem Karacho reinrauscht.

Unabhängig davon soll aber der Emergency Assist arbeiten. Wenn der Fahrer längere Zeit das Lenkrad nicht bedient, kein Pedal tritt und auch auf folgende Warnhinweise nicht reagiert, stellt das Notsystem den Arteon unter Beachtung aller Verkehrsregeln sicher am Straßenrand ab. Zugegeben, im Test wurde diese Funktion nicht ausprobiert. Verpackt ist das Ganze neben der sehr hilfreichen adaptiven Spurwechsel- und Spurwechsel-Unterstützung im Fahrassistenzpaket für zusätzlich 1635 Euro.

Und da wir gerade bei den Paketen sind, soll hier noch eine Empfehlung für das mit den Parkassistenten ausgesprochen werden. Damit übernimmt nämlich auf Wunsch die Elektronik den Lenkvorgang in Längs- oder Querparkbuchten. Anders als bei den Systemen anderer Hersteller kann sogar eingeparkt werden, ohne dass andere Autos die natürliche Grenze für die Lücke bilden. Ergänzt wird das Ganze durch eine 360-Grad-Ansicht und eine brillante Bilder liefernde Rückfahrkamera. Ebenfalls zu empfehlen ist das Active Lighting System für 1260 Euro mit adaptivem Fern- und Kurvenlicht.

Fazit: Der Arteon ist mit 60.000 Euro, will man ihn in vollem Ornat und mit dem potentesten Benziner fahren, kein Schnäppchen. Dennoch ist er deutlich preiswerter als die hauseigene und fremde Konkurrenz, die im Segment der waschechten Coupés fährt. Schade, dass die Abgrenzung zum Passat im Innenraum nicht so konsequent vollzogen wurde wie an der Außenhaut. Denn am Ende geht es gerade in der Premium-Liga um Prestige, Image und Eigenständigkeit. Und das vermisst man im Innenraum ein wenig. Ansonsten ist der Arteon ein rundum gelungener Gran Tourismo, der sich weder äußerlich noch technisch vor irgendjemandem verstecken muss.

Quelle: n-tv.de


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