Über zwei Jahre nach Krebsmittel-Skandal: „Immer noch keine ausreichende Kontrolle“

  22 Juni 2018    Gelesen: 1777
Über zwei Jahre nach Krebsmittel-Skandal: „Immer noch keine ausreichende Kontrolle“

Zweieinhalbjahre nach dem Skandal um den illegalen Umgang mit Anti-Krebsmitteln in einer Apotheke in Bottrop sagt der Whistleblower Martin Porwoll, dass sich das Kontrollsystem für Apotheken nicht ausreichend geändert habe. Er glaubt, die Branche bedarf einer genauen Beobachtung.

Der Volkswirt Martin Porwoll ist vor zweieinhalb Jahren gemeinsam mit Maria-Elisabeth Klein mit Enthüllungen über den illegalen Umgang mit dem Anti-Krebsmittel Zytostatika in der Alten Apotheke in Bottrop an die Öffentlichkeit getreten. Dort soll jahrelang illegale Panscherei mit Anti-Krebsmitteln praktiziert worden sein, wodurch bis zu 10.000 schwer- und oft todkranke Krebspatienten geschädigt wurden.

Dafür haben die beiden, neben Can Dündar, den Whistleblower-Preis im Dezember 2017 verliehen bekommen. Seit 20 Jahren vergibt eine Jury, bestehend aus der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und der Deutschen Sektion der IALANA (International Association of Lawyers against Nuclear Arms), diesen Preis. Auf der Pressekonferenz zur Buchveröffentlichung „Whistleblower-Enthüllungen – Whistleblower Preis 2017“ erzählt der Preisträger Porwoll, warum sich seiner Meinung nach auf behördlicher Seite nicht genug getan hat:

„Ich wollte, dass ein potenziell strafrechtliches und auch das Leben von Menschen gefährdendes Verhalten eingestellt wird. Die Rahmenbedingungen, die das Verhalten überhaupt erst möglich gemacht haben, sollten sich ändern. Aber an den Rahmenbedingungen hat sich noch nichts geändert. Prinzipiell sind das gleiche Verhalten oder die gleichen Taten durchaus möglich.“

Mangelhafte Kontrolle

In Deutschland gebe es nicht viele Apotheken, die Zytostatika herstellen. Zwischen 200 und 300 Einrichtungen haben die Labore, um entsprechend produzieren zu können. Der einzige behördliche Schritt, den eine Zytostatika-herstellende Apotheke vollbringen müsse, sei, sich das Labor genehmigen zu lassen, berichtet Porwoll:

„Das ist ein rein formaler Vorgang. Danach passiert in Deutschland kontrolltechnisch nichts mehr. Insbesondere Herstellungslabore und Lieferketten unterliegen keiner weiteren Kontrolle. Es gab nie an irgendeiner Stelle eine Vorgabe, dass ein Amtsapotheker oder ein Pharmazierat die Qualität des von der Apotheke hergestellten Produkts – sprich die Therapie – kontrolliert, vom Wirkstoffgehalt, auf die Produktionsbedingungen, ob die ordnungsgemäß produziert wurden, ob eine Kernbelastung im Produkt vorliegt und so weiter. Genau diese drei Bereiche waren in der Apotheke, in der ich gearbeitet habe, vernachlässigt.“

Keine Überraschungen

Außerdem würde sich ein Kontrolleur zwei bis drei Monate im Voraus bei dem zu Kontrollierenden anmelden. Die überraschende und unangekündigte Kontrolle werde in Deutschland bis dato in keinem Bundesland praktiziert.

In Nordrhein-Westfalen habe es ungefähr eineinhalb Jahre gedauert, bis die Amtsapotheker angewiesen waren, die Zytostatika-herstellenden Apotheken einmal unangekündigt zu kontrollieren und Stichproben aus den Produkten zu nehmen. Bis zum 30. Juni solle diese Maßnahme abgeschlossen sein. Dann sei eine Vorstellung der Ergebnisse durch den Landesgesundheitsminister von NRW geplant. Porwoll kommentiert diesen Umstand:

„Eineinhalb Jahre nach einem Fall werden die Kontrollen durchgeführt. Wenn da ernsthaft noch etwas gefunden werden würde, dann ist das schon ein Ausdruck höheren Schwachsinns der kontrollierten Apotheke. Aber wie ich gehört habe, gibt es tatsächlich einen Fall.“

Keine Benachrichtigung der Betroffenen

Die kursierenden Zahlen von knapp 3000 Patienten spiegeln nicht die Anzahl der Betroffenen wieder. Porwoll betont, dass es weitaus mehr Betroffene seien:

„Wir haben sicherlich 8000 bis 10.000 betroffene Patienten, von denen die meisten auch gar nicht wissen, dass sie betroffen sind, weil es in den letzten zweieinhalb Jahren nicht zu einem Konsens aller beteiligten Behörden und Parteien gekommen ist, wie man den Patienten tatsächlich rechtssicher informieren kann.“

So würde den Betroffenen die Möglichkeit genommen. Rechtsmittel einlegen zu können.

Junge Branche ohne Tradition

Der Whistleblower Prowoll glaubt, dass die ambulante onkologische Versorgung einer genauen Kontrolle durch die Behörden bedarf. Es sei eine Branche, die auf keine lange Tradition zurückblicken kann. Sie ist 20, 25 Jahre alt. Das Konzept wurde aus den USA übernommen. Man ermöglicht dem Patienten, seine Krebstherapie nicht mehr im Krankenhaus stattfinden lassen zu müssen. Das sei ein großer Vorteil. Auf der anderen Seite hätten sich innerhalb der letzten 20 Jahre gewisse Geschäftspraktiken und Strukturen entwickelt, die sicherlich einer genaueren Untersuchung bedürften, meint Prowoll:

„Die Begründung dafür liegt auch auf der Hand: Es ist ein Markt, der pro Jahr vier Milliarden Euro schwer ist und den sich eine überschaubare Zahl an Protagonisten teilen. Das sind die bereits genannten 200 bis 300 Zytostatika-herstellenden Apotheker. Dann gibt es die entsprechenden Pharmafirmen, kleine, gut zu organisierende Gruppen, die auch in der Lage sind, Einfluss auf die Gesetzesebene zu nehmen.“

sputnik.de

 


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