New Yorker besichtigen ihr BER-Desaster

  05 März 2016    Gelesen: 949
New Yorker besichtigen ihr BER-Desaster
Mit einem Warenhaus im Münsterland begann Santiago Calatrava seine Karriere als Architekt. Nun stellt er einen Bahnhof am World Trade Center fertig. Die Presse schimpft über die Explosion der Kosten, Besucher sind beeindruckt.
Die Berliner können sich ein wenig getröstet fühlen. Nicht nur die größte deutsche Stadt scheint unfähig zu sein, ein großes Bauprojekt im Kosten- und Zeitplan über die Bühne zu bringen. Auch die größte Stadt der USA, New York, hat ihr BER-artiges Desaster. Soeben wurde am neuen World Trade Center ein Umsteigebahnhof für U-Bahnen und Regionalzüge eröffnet, den 50.000 Passagiere täglich nutzen sollen. Die Freude darüber ist eher verhalten. "Beeindruckend" sei die neue Halle schon, sagt George, ein älterer Herr in Mantel und Kinnbart, der sich dort am Freitag zum ersten Mal umsieht. "Nur ein bisschen überteuert."

Denn eigentlich sollte der Bahnhof bereits vor fast zehn Jahren fertig und zwei Milliarden Dollar günstiger sein. Immerhin hat der Big Apple nun einen neuen Rekord vorzuweisen: Er verfügt über die teuerste U-Bahnstation der Welt. Zwölf Jahre dauerte es bis zur Eröffnung, vier Milliarden Dollar kostete der Bau die Stadt. Ganz schön teuer für den gerade mal 18.-größten U-Bahnhof New Yorks, befindet auch die "New York Times".

War es das zumindest wert? Liest man die Berichte der "Times" oder der "New York Post" ist die Tendenz klar: Nein, war es nicht. Der Bau des spanischen Star-Architekten Santiago Calatrava löst keine große Begeisterung aus. Im Gegenteil.

Ein Kolumnist der "Post" versuchte nach einer Besichtigung vor zwei Wochen zwar ein wenig nett zu sein. Eine freundlichere Schlagzeile als "Nicht jeder hasst die neue Station so sehr wie ich", fiel ihm aber nicht ein. Von all den Fehlern beim Wiederaufbau des World Trade Centers sei dies der Schlimmste gewesen, ätzte er. Es handele sich um den am obszönsten überteuerten Umsteigebahnhof der Welt, der schlicht Brechreiz auslöse.

Fast 50 Meter hohe Halle

Calatrava-Fans dürften das anders sehen. Denn das neue Bauwerk ist durchaus spektakulär: Eine gigantische fast 50 Meter hohe und strahlend weiße Halle, der "Oculus", eröffnet sich den Besuchern, die seit Donnerstagabend die Anlage nutzen dürfen. Noch ist alles ganz jungfräulich, ungewöhnlich für New York: Noch gibt es keine Boutiquen, Läden und Geschäfte darin. "Es sieht noch so weiß und leer aus", sagt George. "Mal sehen wie es aussieht, wenn es fertig ist." So feierlich wie in einer Kirche sei die Stimmung, heißt es in der "Post", der nächste Apple-Store kommt bestimmt, seufzt der Autor der "Times". Die Zeitung nennt den Architekten jedoch ein "One-Trick-Pony", ein Architekt also, der immer das Gleiche macht. Da ist etwas dran, schließlich ähneln ein Bahnhof in Lyon und ein Museum in Milwaukee seinem neuesten, lang erwarteten Streich.

Doch auch das ist so ein Giftpfeil der New Yorker Presse. Denn tatsächlich hat der Spanier auch völlig andere Gebäude gestaltet – etwa einen verwundenen Wolkenkratzer in Malmö oder einen spektakulären Bahnhof in der Reggio Emiliana in Norditalien. Oder in Deutschland: Eines der ersten von ihm entworfenen Gebäude ist ein Lagerhaus für Ernsting`s Family im westfälischen Coesfeld. Das war Anfang der 80er Jahre – heute ist er weltweit unterwegs, baute in Nord- und Südamerika, viel in Spanien, in Dubai und Asien. Und nun eben in New York.

Was sagen die Menschen im Oculus selbst? "Es ist nicht gerade vier Milliarden Dollar wert, aber ich mag es", sagt Tom, ein New Yorker, der zwei Blocks entfernt lebt. "Der Boden ist toll. Es sieht aus, als könnte man darauf Schlittschuh fahren." Er findet die neue Halle auf jeden Fall besser, als das, was New York sonst an Architektur zu bieten habe. "Fantastisch!", findet auch ein älterer Herr aus London das Oculus. Er besucht mit seiner Frau die Stadt. Er fragt sich nur, was da beim Budget schief gelaufen ist. "Wir wären früher für solche Fehler erschossen worden."

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