Jetzt aber hat Comey, ob bewusst oder aus verfehlter guter Absicht, genau das Gegenteil erreicht: Seine ebenso dramatische wie missverständliche Enthüllung, das FBI prüfe weitere E-Mails aus dem Umkreis Hillary Clintons, hat das Rennen um das Weiße Haus kurz vor dem Ziel ins Chaos gestürzt.
Schon vergleichen sie Comey mit dem berüchtigten FBI-Direktor J. Edgar Hoover, der die US-Bundespolizei von 1924 bis 1972 zu "Amerikas Gestapo" gemacht hatte. Selbst US-Präsident Barack Obama ließ alle gebotene Zurückhaltung fallen und rügte Comey, ohne ihn beim Namen zu nennen. Egal, wer die Wahl nun gewinnt - Comeys Tage beim FBI scheinen gezählt.
Es ist der unrühmliche Tiefpunkt einer zumindest auf dem Papier makellosen Laufbahn. Und doch, bei näherer Betrachtung, keine Überraschung. Der aktuelle Aufruhr zeigt klarer denn je: Comeys gepflegtes Image der ethischen Lichtfigur hat die oft weniger hellen Motive dahinter bloß kaschiert.
Filmreife Szene von 2004
John Ashcroft, der damalige Justizminister unter George W. Bush, lag nach einer Operation auf der Intensivstation. Das versuchten Bushs Stabschef Andrew Card und Justiziar Alberto Gonzales auszunutzen: Sie wollten dem Patienten am Krankenbett eine Unterschrift abpressen, um das kontroverse NSA-Abhörprogramm zu verlängern, mit dem die Amerikaner bespitzelt wurden.
Doch der Plan platzte - dank Comey, seinerzeit Vizeminister. Der eilte nachts mit Sirenen und Blaulicht ins Krankenhaus und verhinderte gerade noch, dass Card und Gonzales seinen dämmernden Boss manipulierten.
Was seither jedoch im Dienste der Legendenbildung in Vergessenheit geriet: Comey zeichnete die Verlängerung des NSA-Programms schließlich doch noch ab, nachdem eine juristische Formalie verändert worden war. Es lief bis 2011 und wurde in seiner Tragweite erst durch Edward Snowden bekannt.
Der Held war kein Held, sondern ein Bürokrat, der sich den Rücken freihalten wollte - genau das, was nun im Fall der Clinton-E-Mails nach hinten losging.
Lange Republikaner, doch inzwischen kein Parteimitglied mehr, balancierte Comey stets zwischen den Agenden anderer. Das prägte seinen Ruf der Unbestechlichkeit; tatsächlich war es oft nur das Gespür dafür, was ihn selbst am besten aussehen ließ. Das bekamen so unterschiedliche Angeklagte zu spüren wie der verurteilte Terrorist José Padilla, dessen Folter Comey rechtfertigte, oder die Lifestyle-Queen Martha Stewart, die er wegen ihrer peripheren Verbindung zu einem Aktienbetrüger hinter Gittern brachte.
Auch mit den Clintons verbindet Comey eine lange Geschichte
Schon in den Neunzigerjahren hatte er sie im Fadenkreuz: Als Chefermittler für einen Senatsausschuss untersuchte er den Whitewater-Skandal, einen missratenen Immobiliendeal aus Bill Clintons Gouverneurszeiten in Arkansas. Comey verzichtete auf eine Anklage, veröffentlichte aber einen Bericht voller Andeutungen - Vorgeschmack auf seine jetzige Handhabung der E-Mail-Affäre.
2002 hatte Comey erneut mit den Clintons zu tun: Er prüfte die Begnadigung des Steuerflüchtlings Marc Rich durch Clinton - ein Fall, den das FBI jetzt mitten im Wahlkampf erneut aus der Schublade holte.
Manche warnten schon früh, dass sich Obamas Entscheidung, Comey 2013 zum FBI-Direktor zu ernennen, noch rächen würde. Seine oft willkürliche Ausübung von Autorität sorgte intern für Stirnrunzeln. Er widersetzte sich einer Justizreform, legte sich mit dem Weißen Haus und der Black-Lives-Matter-Bewegung an und hypte die angebliche Terrorgefahr in der Provinz.
Clintons E-Mail-Affäre verschlimmerte er bereits im Juli, als er sich mit Zweideutigkeiten aus der Schlinge zu ziehen versuchte: Für eine Anklage gebe es keinen Anlass, zugleich aber sei Clinton "extrem leichtsinnig" gewesen. Vor dem Kongress legte er Details offen, die immer neue Fragen aufwarfen - während er FBI-Ermittlungen gegen Donald Trumps Wahlkampfmanager Paul Manafort wegen mutmaßlicher Russland-Verbindungen geheimhielt.
Comeys ungefragte Einmischung in den US-Wahlkampf fügt sich also in ein Muster. Sein Verhalten sei ein "Akt der politischen Kriegsführung", kritisiert ihn FBI-Experte Tim Weiner in der "New York Times": "Irgendwo in einer dunklen Sternenkammer des Himmels schmunzelt J. Edgar Hoover."
Quelle : spiegel.de
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