Ein historischer Fehler ist alles, was bleibt
Erst beginnt es in den Schultern des Premierministers zu zucken. Der Regierungschef steht am Fenster und guckt hinaus in die Londoner Nacht. Im Hintergrund wird der Discobeat im Radio lauter. Seine Hüften gehen mit, und schließlich kommt der ganze Mann in seinem maßgeschneiderten Anzug in Schwung.
Es ist eine Szene aus "Love Actually", der großen britischen Komödie, in der Hugh Grant als Premierminister durchs Treppenhaus von Downing Street Nummer 10 schwoft und sich dann furchtbar schämt, weil ihn eine streng dreinblickende Angestellte dabei erwischt.
David Cameron, Großbritanniens scheidender Premierminister, schien Hugh Grants alberne Vorlage aufzunehmen. Er übertrug den Klassiker in die Wirklichkeit und lieferte den endgültigen Beweis dafür, dass niemand die Briten so gut persiflieren kann wie sie selbst.
Nachdem er vor laufenden Kameras angekündigt hatte, sein Amt in wenigen Stunden abzugeben und Downing Street zu verlassen, ging der Regierungschef zum letzten Mal auf die berühmteste Haustür der Welt zu und summte so erleichtert vor sich hin, als sei er glücklich, endlich den verdammten Job los zu sein. Die schwarze Tür mit der silbernen "10" öffnete sich – wie im Film – genau im rechten Moment, und Cameron sagte so flapsig und britisch wie sonst nur Hugh Grant: "Right! Good!"
Verheerende Bilanz seiner Amtszeit
Es ist ein passender Abgang für Cameron. Denn das Ende seiner Amtszeit ist so absurd und tragisch, dass es wohl nur mit Humor zu ertragen ist. Jede britische Politikkarriere endet schließlich in Trümmern. Jeder Politiker scheitert, und keiner – erst recht kein Regierungschef – scheidet ruhmvoll.
Margaret Thatcher weinte auf dem Rücksitz ihrer Limousine, als ihre Parteifreunde die Geduld mit ihr und die Angst vor ihr verloren und sie endlich aus dem Amt gejagt hatten. John Major war an der Wahlurne derart vernichtet worden, dass er gar keine Worte des Abschieds mehr fand. Tony Blair verabschiedete sich vom Volk grinsend hinter der Verteidigungslinie seiner vier Kinder. Seinem Nachfolger Gordon Brown brach die Stimme, als er berührende Abschiedsworte sprach.
Und David Cameron? Der macht dumdideldum. Eine ernsthaftere Bilanz seiner Amtszeit fällt nämlich verheerend aus. Schon vor dem Brexit-Votum war er kein großer Premierminister. Sein Vermächtnis wäre denkbar mager ausgefallen, hätte er nicht jenen unentschuldbaren Fehler begangen, die Briten aus Versehen aus der EU zu führen. Nun ist sein Vermächtnis spektakulär. Es besteht aus einem innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Trümmerhaufen.
Cameron hat genau das erreicht, was er mit aller – offensichtlich unzulänglichen – Macht verhindern wollte: Er hat das Land gespalten, die sozialen Ungerechtigkeiten verschärft, womöglich das Ende des Vereinigten Königreichs eingeläutet und die Frage, welche Rolle Großbritannien in Europa spielen soll, alles andere als gelöst.
Sein Untergang ist grotesk
Es ist genau das Gegenteil dessen eingetreten, womit Cameron vor elf Jahren als Parteivorsitzender angetreten ist. Damals wollte er seiner Partei das "Schwafeln über Europa" ein für alle Mal abgewöhnen. Er wollte Innenpolitik betreiben, vor allem Sozialpolitik. Sein Ziel war die "Big Society", eine große Gesellschaft, in der jeder mit anpackt, niemand ausgeschlossen wird und der Staat sich angesichts der tüchtigen Eigeninitiative seiner Bürger weitgehend zurückzieht.
Ob diese Utopie in ruhigen Zeiten zu verwirklichen ist, sei dahingestellt. In unruhigen Zeiten war sie es nicht. Nach der Finanzkrise betrieb Camerons Regierung eine harte Austeritätspolitik, die nicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt festigte, sondern das untere Drittel der Gesellschaft weiter abhängte.
Sein Untergang ist auch deshalb besonders grotesk, weil er als junger Berater in der Zentrale der Konservativen hautnah miterlebt hat, wie zwei Vorgänger – Margaret Thatcher und John Major – an Europa gescheitert waren. Er hatte das Risiko also immer vor Augen – und ging es mit dem Versprechen eines Referendums, das er hoffte nie einlösen zu müssen, trotzdem ein. In der unbegründeten Hoffnung, den rechten, europafeindlichen Flügel der Partei endlich zu befrieden, setzte er nicht nur die Zukunft seines Landes, sondern des gesamten Kontinents aufs Spiel.
Langfristig muss man sich keine Sorgen machen
Zumindest kurzfristig gehört Cameron zu den Verlierern des Brexits. Neben dem Amt hat er etliche Freunde verloren. Sein ehemals bester Freund und engster Berater Steve Hilton, dessen Frau Patentante von Camerons älterer Tochter ist, fiel ihm während der EU-Kampagne in den Rücken. Justizminister Michael Gove, der führende Brexiteer, galt ebenfalls als enger Freund der Familie. Goves Frau ist die Patentante von Camerons jüngster Tochter. Auch mit ihr soll die Familie gebrochen haben.
Am vergangenen Wochenende traf Cameron dann die geballte Wut der wohlhabenden, europafreundlichen Elite: Nach dem Finale in Wimbledon wurde er auch auf dem Centre-Court ausgebuht. Er lief mal wieder tiefrot an.
Langfristig aber muss man sich um Cameron keine Sorgen machen. Er ist von Haus aus kein Verlierer und besitzt – wie die lustige Melodie beim Abgang beweist – ein in sich gelassenes Gemüt. Die "Times" berichtet, dass er schon wenige Tage vor dem Referendum einen Kredit von 800.000 Pfund aufgenommen hat. Er muss die Niederlage also zumindest geahnt haben. Das Geld verschafft dem vermögenden Camerons vorläufig die nötigen Barmittel.
Die Camerons haben finanziell ausgesorgt
Es heißt, dass Cameron auf keinen Fall "einen Blair machen" will. Anders als sein Vorvorgänger will er seinen Sitz im Parlament nicht aufgeben, sich nicht ins Geschäftsleben stürzen und nicht seine Amtszeit zu Geld machen. Das hat Cameron auch nicht nötig. Er besitzt ein Haus in Notting Hill, das – zumindest vor dem Brexit – etwa 3,5 Millionen Pfund wert war, und ein weiteres in seinem Wahlkreis im Wert von etwa 1,3 Millionen Pfund.
Seine Frau Samantha stammt aus altem, steinreichem Adel. Es gibt Gerüchte, nach denen die Camerons sich für ein 4000 Hektar großes Anwesen in Aberdeenshire interessieren, das ein Verwandter von Samantha verkauft. Samantha selbst will als Designerin ins Modegeschäft einsteigen.
Und Dave? Wenn sein Tagwerk vollbracht ist, er zum Abschied eine Handvoll Lords und Ritter ernannt und sich von der Queen verabschiedet hat, wird er das tun, was er am liebsten macht: Er wird "chillaxen". Es heißt, dass er als Erstes teuer in den Urlaub fahren will. Als Premierminister musste er die Ferien politisch korrekt in Cornwall, höchstens mal auf Lanzarote verbringen. Diese Zeiten sind endlich vorbei. Dumdideldum.
Quelle: n24.de