Jetzt geht es aber Schlag auf Schlag bei Polestar. Erst halten sich die Schweden lange zurück mit Produktneuheiten und dann kommt das große Feuerwerk. Schließlich sind ja Nummer fünf und sechs ebenfalls bereits in der Pipeline. Doch mit der jüngst vorgestellten und nun auch endlich dynamisch erlebbaren vierten Baureihe (bei Polestar entsprechen die Modellbezeichnungen schlicht der Erscheinungsfolge) kommt ein besonders spannendes Fahrzeug in den Handel.
Denn mit dieser Mittelklasse stellt die dem chinesischen Geely-Konzern gehörende Premiummarke erstens ein besonders cooles Modell auf die Räder. Und zweitens ist es auch noch einer breiteren Schicht zugänglich, weil nicht abgehoben teuer. Im Gegensatz zum ebenfalls gerade gelaunchten Polestar 3 (nur als mindestens 85.590 Euro teurer Doppelmotorer zu haben) kommt der 4 auch als Basisvariante mit 272 PS zum Kurs ab 61.900 Euro. Damit ist der 4,84 Meter lange Nobeltourer zwar beileibe kein Sonderangebot, aber lässt sich für eine größere Menge an Kunden zumindest finanzieren mit hoffentlich attraktiven Leasingangeboten. Realisiert werden konnte das Projekt mit der Hilfe weitverzweigter Entwicklungsaktivitäten des Konzerns. Der Polestar 4 basiert auf der sogenannten SEA-Plattform (Sustainable Experience Architecture), wiederum von der schwedischen Zeekr Technology Europe AB entwickelt, die ihren Sitz in Göteborg hat.
Dem Polestar 4 fehlt es an nichts
Schön ist, dass der Polestar 4 recht komplett ausstaffiert ist, sodass für ein glückliches Autofahrerleben jedenfalls nichts mehr zwingend extra geordert werden muss. Aber die wichtigsten Features werden später noch einmal Thema sein. Jetzt heißt es erst einmal einsteigen in das Auto ohne Heckscheibe. Und was für die Fondpassagiere heimelig-intim wirkt, weil sie sich in der blickdichten Umgebung so schön geschützt fühlen dürfen (massig Beinfreiheit inklusive), bedeutet für den Fahrer eine drastische Umgewöhnung. Klar kann er nach hinten raussehen: Polestar spendiert einen Kamera-Innenspiegel. Ja, dessen Displayoberfläche bietet eine hinreichend hohe Auflösung, um die entscheidenden Dinge im Straßenverkehr zu erkennen. Aber ein konventioneller Spiegel wäre schon angenehmer. Dieser Preis ist eben für Extravaganz zu zahlen.
Dafür empfängt der Mittelklässler seine Passagiere mit betont anschmiegsamen Sesseln in einem architektonisch schicken Umfeld. Die bestehen aus einer Art Mikrofaser und machen nach etwas mehr als 100 Kilometern einen feinen Eindruck. Sie sind ziemlich komfortabel. Entsprechend dem Gesamteindruck, den der jüngste Polestar hinterlässt. Klar mischt sich auch eine sportliche Note unter das Bouquet von Rückmeldungen, was jedoch in der Natur der Motorisierungen liegt. Das 544 PS starke Topmodell mit zwei Maschinen kickt heftig ins Kreuz. Logisch, wenn 686 Newtonmeter über alle vier Pneus herfallen. Dann liegt Landstraßentempo bereits nach 3,8 Sekunden an, während die Topspeed bei 200 Sachen gedeckelt ist.
Steigt man in den Hecktriebler um, wirkt dieser im direkten Vergleich ein bisschen schlapp. Hier habt ihr nicht aufgepasst, liebes Polestar-Team, ihr hätte den schreibenden Kollegen zwingend zuerst die Basisvariante geben dürfen, um dann auf den Power-Allradler umzusteigen. Aber hey, langsam ist auch der Long Range kaum mit einer recht drahtigen Spurtzeit von 7,1 Sekunden auf 100 km/h. Und bei der Höchstgeschwindigkeit gilt Gleichstand. Ebenso bei der Möglichkeit, die Lenkung in dreistufiger Manier weicher oder härter zu stellen. Diese Einstellung ist recht intuitiv im entsprechenden Menü auf dem großen Touchscreen zu finden. Und unabhängig von der Einstellung meldet der griffige Kranz recht authentisch zurück.
Außerdem kaschiert der 2,2 bis 2,4 Tonnen schwere Schwede dank geschickter Batterielagerung sein Gewicht ganz gekonnt und verwöhnt demnach mit akzeptabler Querperformance. Und dennoch bekommen die Fahrwerke einen geschmeidigen Touch beim Abrollen hin, obwohl die Feder-Dämpfer-Einheiten bis zu 22 Zoll große Pneus mit 45er-Niederquerschnitt verarbeiten müssen.
Schwede strotzt vor Sensorik
Was sollte man noch wissen über den Polestar 4? Dass sein Infotainment wie auch bei der Konzernmarke Volvo auf einer Android-Architektur basiert. Bevor Apple-CarPlay-Jünger aufschreien - keine Sorge, beherrscht die Polestar-Mittelklasse. Ansonsten hat man sich die wichtigsten Funktionen schnell erarbeitet, wozu auch das Handling der Assistenten gehört. Spurvibration und Tempoalarm sind schnell ausgeschaltet. Es gibt übrigens unendlich viel Sensorik. Darunter zwei HD-Frontkameras, vier Nahbereichkameras für die Rundumsicht, eine HD-Rückfahrkamera sowie vier HD-Seitenkameras. Hinzu gesellen sich zwölf Ultraschallsensoren. Entsprechend gibt es viele Gefahrenszenarien, in denen eine Notbremsung ausgelöst wird.
Entspannt nach wie vor: der simple adaptive Tempomat. Lässt sich angeblich auch ohne Vibration beim Überholen realisieren (hier im Test hat er störend vibriert), diese Möglichkeit gab es bei der verfügbaren Flotte allerdings noch nicht. Das sei aber bloß eine Frage der Software, verspricht Polestar.
Übrigens ist der Geschwindigkeitsregler ebenso serienmäßig wie ein ordentliches Audiosystem mit acht Lautsprechern. Freilich gilt das auch für die Navigation. Elektrisch verstellbare Sitze gibt es ebenfalls standardmäßig. Wer sich jedoch massieren lassen möchte, zahlt was drauf. Auch die super Hightech-LED-Pixelscheinwerfer kosten extra.
Praktisch dagegen ist der Polestar 4 immer, bietet über 1500 Liter Gepäckraumvolumen. Außerdem darf der Dual Motor auch noch zwei Tonnen schwere Anhänger ziehen, für ein elektrisch angetriebenes Auto dieser Klasse schon beachtlich - beim Basismodell sind es bloß 1,5 Tonnen. Alle beiden Versionen dagegen verfügen über einen 100 kWh großen Akku mit stattlicher WLTP-Reichweite zwischen 590 und 620 Kilometern (17,8 bis 21,7 kWh pro 100 Kilometer) je nach Ausführung.
Ach ja, und bei einem Premiumprodukt dieser Flughöhe dürfte man inzwischen eigentlich auch ein 800-Volt-Bordnetz erwarten. Gibt aber bloß 400 Volt. Okay, immerhin wird mit bis zu 200 Kilowatt geladen, und der große Stromspeicher soll binnen 30 Minuten von 10 auf 80 Prozent laden. Das wird noch zu testen sein. Interessant ist die Frage, ob der Polestar 4 nicht zu sehr polarisiert. Das wird sich ja bald herausstellen.
Quelle: ntv.de, Patrick Broich
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