Am Ende besiegte Beatty die kaiserliche deutsche Flotte doch noch, an jenem 31. Mai 1916. Und fast genau hundert Jahre später hat der britische Sieg in der Schlacht vom Skagerrak dem Vereinigten Königreich noch ein zweites Mal genutzt. Denn nur wegen der Gedenkfeierlichkeiten mit David Cameron und Joachim Gauck waren sofort zwei britische Fregatten zur Stelle, um den Gegner von heute abzufangen: ein U-Boot der russischen Flotte. Was sich derzeit in den kalten Gewässern unterhalb des Nordpols abspielt, hat noch keine Toten gefordert. Aber es erinnert beteiligte Admiräle schon an die Seeschlachten der großen globalen Konflikte. "Das, was wir heute erleben, war im Kalten Krieg Alltag – nur dass sich die Russen damals eher an internationale Regeln gehalten haben und ihre Aktionen weniger waghalsig waren", sagt Keir Giles, Experte für Sicherheitspolitik und Russland am Londoner Royal Institute of International Affairs.
Die Welle russischer Übergriffe zur See ist eng verknüpft mit ähnlichen Aktionen in der Luft. "Wenn russische Flugzeuge vom Nordmeer aus Richtung Großbritannien und Westeuropa vorstoßen, dann nennen sie das `um die Ecke biegen`. Dann rufen sie zwangsläufig die britische und dänische Luftwaffe auf den Plan."
Die jüngsten Vorfälle mit den Russen
Doch in letzter Zeit biegen die Russen ständig um die Ecke. Fast überall. Ein kleiner Auszug aus der Liste jüngster Vorfälle:
Am 9. Juni erklären die schwedischen Streitkräfte, sie hätten Ende April ein Seemanöver eingestellt, weil unterseeische Aktivitäten einer unbekannten Macht beobachtet worden seien. Im Oktober 2015 und im Juni 2014 hatte die schwedische Marine russische U-Boote in ihren Gewässern geortet.
Am 7. Juni ortet die Nato-Luftabwehr eine russische Antonow-26 im Luftraum über Estland. Die estnische Regierung protestiert in Moskau.
Ebenfalls am 7. Juni wird eine russische Maschine vom Typ Tu-142 über Syrien beobachtet. Das Flugzeug ist für die Ausforschung gegnerischer U-Boote ausgelegt.
Am 17. Mai steigen britische Typhoon-Kampfflieger auf, um fünf russische Flugzeuge abzufangen, die sich ohne Identifizierung dem britischen Luftraum nähern.
Am 28. Mai werden fünf russische U-Boote im Nordatlantik gesichtet. Ein kanadisches U-Boot und Schiffe verbündeter Nationen werden entsandt, um den Verband zu stellen.
Am 17. Februar wird ein russischer Bomber nahe dem britischen Luftraum abgefangen. Ähnliche Vorfälle gab es mindestens sechs Mal in den zwölf vorangegangenen Monaten. Im Februar 2015 hatten sich russische Kriegsschiffe der Südküste Englands genähert
Koordiniertes Vorgehen von Flugzeugen und U-Booten
"Die Aktivitäten von Flugzeugen und U-Booten hängen eng miteinander zusammen", sagt Militärexperte Giles, der selbst eine Pilotenausbildung der Royal Air Force absolviert hat. "Bei Operationen gehen beide koordiniert vor, und Flugzeuge dienen auch dazu, gegnerische U-Boote auszuforschen. Unter Atommächten gibt es kein wertvolleres Wissen als jenes um die U-Boot-Bewegungen des Gegners."
Die unterseeischen Kampfstationen sind nicht nur deshalb so interessant, weil sie fast unbemerkt eine hohe Feuerkraft in die unmittelbare Nähe eines Gegners bringen können. Ein russisches U-Boot der Kilo-Klasse, wie es am Mittwoch von den Briten gestellt wurde, kann zum Beispiel Cruise-Missiles verschießen, wie sie gerade der Terrormiliz IS in Syrien den Garaus machen.
U-Boote, die mit Atomraketen bewaffnet sind, können auch fern des heimischen Territoriums einen nuklearen Gegenschlag führen, wenn das eigene Land von den Kernwaffen des Gegners getroffen wird. Die mobilen Massenvernichtungswaffen in der Tiefsee stellen sicher, dass bei einem Atomkrieg auch der Angreifer vernichtet werden kann. Darum gehören sie zu den wichtigsten Figuren auf dem globalen strategischen Schachbrett.
U-Boote können Atomkriege entscheiden
In diesem Spiel wird zur Waffe, was auf den ersten Blick harmlos erscheint – die bloße Ortung eines U-Boots. Denn wer es schafft, seinem Gegner nahe zu kommen, der weiß auch, wie dieser aufgestellt ist und wie er im Krisenfall reagiert. Wenn es ernst wird, sind solche Informationen entscheidend. In letzter Zeit sind die Bewegungen auf diesem Schachbrett immer hektischer geworden.
"Die vierte Schlacht um den Atlantik", so überschreibt Vizeadmiral James Foggo III. seinen Essay im aktuellen Magazin des US Naval Institute. Foggo ist Oberbefehlshaber der 6. US-Flotte, die im Mittelmeer sowohl Europa als auch den Nahen Osten abdeckt. Er stellt die heutige unterseeische Auseinandersetzung mit Russland in eine Reihe mit dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg sowie dem Kalten Krieg.
"Wieder fordert uns eine wirksame, fähige und technologisch fortgeschrittene russische U-Boot-Waffe heraus. Russische Unterseeboote durchkämmen den Atlantik, testen unsere Verteidigungssysteme, stellen unsere Seehoheit infrage und bereiten das komplexe unterseeische Schlachtfeld vor, um den entscheidenden Vorteil in den Konflikten der Zukunft zu erringen."
Nato-Vizeadmiral: Russlands Fähigkeiten beunruhigen
Der Befehlshaber einer der mächtigsten und wichtigsten Marineeinheiten des Westens macht kein Geheimnis aus seiner Sorge: "Nicht nur, dass Russlands Fähigkeiten und Aktionen immer beunruhigender und konfrontativer werden. Auch seine Verteidigungspolitik ist zunehmend darauf ausgerichtet, die USA und ihre Nato-Partner herauszufordern." Tatsächlich hat das russische Verteidigungsministerium erst vor einigen Monaten mit gewissem Stolz bekannt gegeben, dass es seine U-Boot-Aktivitäten im vergangenen Jahr um mehr als 50 Prozent erhöht hat.
"Seit knapp zehn Jahren rüstet Putin die Streitkräfte massiv auf", sagt Militärfachmann Giles. "Nach dem Georgien-Krieg 2008 begannen seine Militärs eine lange Zeit überfällige Modernisierung der Streitkräfte, um sie für einen möglichen Konflikt mit dem Westen vorzubereiten. Seither wurden Hunderte Milliarden investiert und das russische Militär wurde komplett saniert. Der jahrelang hohe Ölpreis hat das möglich gemacht."
Im Nato-Hauptquartier in Brüssel schätzt man, dass allein die Einsätze der russischen Luftwaffe an der Grenze des europäischen Luftraums der Nato seit 2013 um etwa 70 Prozent zugenommen haben. "Russlands erhöhte militärische Aktivität in der Luft und auf See in der Nähe des Nato-Territoriums sind ein Grund zur Sorge, weil sie die Gefahr von Unfällen und Zwischenfällen erhöhen", sagt ein Verantwortlicher der Nato. Darum müssten die Kommunikationskanäle nach Russland offengehalten werden, um Risiken zu minimieren.
Die häufigeren Übergriffe russischer Einheiten hingen auch damit zusammen, dass auf dem zahlreicheren neuen Gerät auch mehr geübt werden müsse, meint Giles. "Aber die Russen wollen auch einschüchtern."
Finnland und Schweden denken über Nato-Beitritt nach
Ein Ziel sei es, die neutralen skandinavischen Staaten Finnland und Schweden von einem Beitritt zur Nato abzuhalten. "Aber das geht letztlich nach hinten los", meint Giles. "Gerade wegen der vielen Luft- und Seevorfälle hat Schweden jetzt aufgerüstet und erwägt wie Finnland, sich dem westlichen Bündnis anzuschließen."
Eine politische Kalkulation der Störmanöver geht also nicht auf. Haben sie vielleicht auch einen Zweck in der sogenannten hybriden Kriegsführung, also der russischen Kombinationsstrategie, die harte Angriffe mit absichtlich verwirrenden Ablenkungsmanövern verbindet? "Eher nicht", sagt Giles. "Wenn man die Piloten fragt, die solche Vorstöße beobachtet haben, ist ihre Einschätzung ziemlich klar: Die Russen üben für den Kampf."
Quelle : welt.de
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