Der Mann mit der Deutschland-Fahne
Es war keine normale Jauch-Sendung am Sonntagabend; derart emotionale Diskussionen wie zwischen dem thüringischen AfD-Landes- und Fraktionschef und den übrigen Gästen, darunter Bundesjustizminister Heiko Maas, sind eher selten. Wie auch immer man den Auftritt Höckes beurteilt: Spätestens seit gestern dürfte der "irre AfDler", wie die "Bild"-Zeitung ihn nennt, auch bundesweite Bekanntheit erlangt haben. Dabei fiel er schon vorher auf.
Am 30. Juli 2014 taucht der Mann aus Lünen erstmals publikumswirksam auf. Vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stellt die AfD ihre Spitzenkandidaten in Berlin vor. Oberstudienrat Höcke unterrichtet damals noch Geschichte und Sport an einer hessischen Gesamtschule. Bei der Pressekonferenz hinterlässt er bleibenden Eindruck. Zum Mitschreiben diktiert er den verdutzten Journalisten damals: "Höcke. Doppelpunkt. Anführungszeichen unten. Die politische Korrektheit liegt wie der Mehltau auf unserem Land und ich bin angetreten, um sie abzuräumen." Seine späteren Auftritte sind nicht weniger skurril.
"Er ist ein junger Stürmer und voll im Saft"
Lange zuschauen muss er dem von ihm kritisierten Politik-Betrieb nicht. Schon zwei Monate nach der Pressekonferenz zieht die thüringische AfD mit Höcke an der Spitze mit 10,6 Prozent in den Erfurter Landtag ein. Auch Petry und Gauland gelingt in Sachsen und Brandenburg der Einzug ins Parlament, doch für mindestens ebenso viel Trubel sorgt seither Höcke. Anfang Dezember mischt er sogar bei der Wahl des Linken-Politikers Bodo Ramelow zum Ministerpräsident mit. Höcke bietet CDU-Fraktionschef Mike Mohring die Stimmen der AfD-Abgeordneten an. "Mohring ist ein profilierter Konservativer. Er ist ein junger Stürmer und voll im Saft", so begründet er dies. Zu einer Zusammenarbeit kommt es aber doch nicht.
Eine Schlüsselrolle spielt Höcke auch beim Sturz von AfD-Gründer Bernd Lucke. Im März initiiert er die Erfurter Resolution, in der vor allem rechtsnationale Mitglieder der Partei eine konservative Ausrichtung fordern. 1800 Mitglieder unterzeichnen das Papier, das sich eindeutig gegen Lucke richtet. Im März tauchen auch Berichte auf, wonach Höcke unter dem Pseudonym "Landolf Ladig" in rechtsextremen Zeitschriften geschrieben haben soll. Der Publizist Andreas Kemper weist in seinem Blog auf übereinstimmende Formulierungen und Argumentationsmuster in den Texten der beiden hin. Höcke dementiert, mit dem Pseudonym etwas zu tun zu haben; eine eidesstattliche Versicherung, die Lucke von ihm verlangt, will er aber nicht unterzeichnen. Der Parteichef fordert ihn daraufhin zum Parteiaustritt auf.
"Hoppla, was ist denn mit dem los?"
Doch der eher liberale Lucke verliert die Machtprobe. Frauke Petry und Alexander Gauland sind gegen einen Parteiausschluss, nach dem Sturz Luckes beim Parteitag im Juli in Essen stellen sie das Verfahren gegen Höcke ein. Der geht gestärkt aus dem Konflikt hervor. Die Spaltung der AfD stärkt den von ihm vertretenen rechtsnationalen Flügel der Partei. Olaf Henkel, ehemaliger Vizeparteichef, sagt über Höcke später: Ursprünglich sei er ihm sympathisch gewesen. "Aber die Art und Weise, wie er am Wahlabend dann seinen Triumph feierte, ließ mich denken: Hoppla, was ist denn mit dem los? Er ist mit seinem Erfolg nicht fertig geworden."
Höcke lässt sich nicht beirren, er will mehr. Seit einigen Wochen initiiert er in Thüringen seine eigenen Demos "gegen Politikversagen". Die Teilnehmer reichen vom bürgerlichen bis weit ins rechte Spektrum. "Wenn ein Pfarrer vor seiner Gemeinde predigt, weiß er auch nicht, ob ein Teufelsanbeter darunter ist", sagt der 43-Jährige dazu. In seinen Reden wettert er gegen "Kanakensprache", durch die Masseneinwanderung stelle sich "zum ersten Mal nach 1000 Jahren die Frage nach Finis Germaniae".
Am Ende der Jauch-Sendung setzt Höcke noch einmal an. "Sie haben sich selbst konditioniert", sagt er zu Jauch und meint, der Moderator betreibe eine Art Selbstzensur. "Wie bitte?", fragt Jauch verdutzt. Da macht SPD-Justizminister Heiko Maas eine wegwerfende Handbewegung. "Ist egal, lassen Sie ihn." Ob sich die AfD so einfach abtun lässt? In Umfragen steht die Partei zurzeit stabil bei sieben Prozent; die Chancen, 2017 in den Bundestag einzuziehen, sind gut. Dass Höcke sich das entgehen lassen und dann in Thüringen bleiben würde, ist kaum vorstellbar.