2020 wäre ideal für eine Reise zu unserem äußeren Nachbarplaneten: Im Juli und August stehen Mars und Erde so nah beieinander, dass der Flug nur ein halbes Jahr dauern würde. Doch die Mission der europäischen Raumfahrtagentur ESA ist zum zweiten Mal verschoben worden, diesmal auf 2022. Aber das ist kein Grund, sich nicht wenigstens am heimischen Spieltisch auf den Weg zum roten Planeten zu machen.
Das ist die kleinste Marsmission: Weniger als anderthalb Tafeln Schokolade wiegt das hübsche kleine Spiel, 49 Karten, 32 kleine Holzmarker, fertig. Jeder will seine sieben Kolonisten mit dem eigenen Raumschiff (das ebenfalls eine Karte ist) auf Gebäudekarten bringen, das bringt Punkte.
Jeder Spieler hat vier Karten, zwei auf der Hand, zwei verdeckt vor sich, und entscheidet, ob er eine aus der Hand spielt oder eine aus seiner Auslage - für jede der beiden Optionen gibt die Karte den jeweiligen Effekt an: Will man einen neuen Würfel auf sein Schiff laden oder gar den Mitspieler im Lieblingsgebäude auf einen schlechteren Platz verschieben?
Am Ende gewinnt (wie fast immer) der oder die mit den meisten Siegpunkten. Die Mechanik ist fein, die Idee super, die Winz-Marsmission aus Polen so weit ein Erfolg. Aber mangels Opulenz will sich keine richtige Weltraumatmosphäre einstellen. Genau wie ein künstliches Habitat, Forschungslabore und Kraftwerke könnte das Spiel auch konkurrierende Ponyhöfe, Königreiche oder Schulen darstellen. Taktische Entscheidungen sind gefragt, aber es wurschtelt auch jeder ein bisschen vor sich hin, Interaktion gibt es nur wenig. Als kleiner Spiel-Aperitif oder Mini-Mission für die Mittagspause ist es trotzdem genau richtig.
Fazit: Winzig, schnell gelernt, schnell gespielt und preiswert. Allerdings wenig Interaktion und kein richtiges Mars-Feeling. Für ein bis vier Spieler ab 10 Jahre, dauert ein bis zwei Viertelstunden.
Mal eben eine Atombombe zünden, damit es auf diesem frostigen Planeten ein paar Grad wärmer wird? Ach, warum nicht! Es braucht schließlich innovative Ideen, um aus dem fernen Planeten bewohnbares Terrain zu machen. Mit "Terraforming Mars" hat der Schwede Jakob Fryxelius 2016 einen Klassiker geschaffen, für den es mittlerweile etliche Erweiterungen gibt - zuletzt erschien 2019 "Aufruhr", das das Spiel um die Dimension politischen Taktierens bereichert.
Zwar soll Terraforming in der Realität kaum funktionieren, aber das macht nichts. Die Ideen, die den jeweiligen Spieleffekten zugrunde liegen, sind wissenschaftlich fundiert: Da gibt es Schwefel fressende Bakterien, Extremkälte-Pilze und stickstoffreiche Asteroiden, die man kontrolliert abstürzen lassen kann. Gespielt wird auf einer realistischen Mars-Karte, unterteilt in hexagonale Felder, auf denen die Spieler Städte bauen, Ozeane und Grünflächen anlegen können. Jeder verkörpert dabei einen Konzern oder eine Organisation mit unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten. Naturgemäß hat die Bergarbeitergewerkschaft dabei andere Interessen als ein Medienkonzern oder die High-Tech-Schmiede eines Milliardärs.
Im Spiel sammelt man Ressourcen - Stahl, Titan, Pflanzen, Energie und Wärme. Und natürlich: Geld. Damit versucht man möglichst erfolgreich zu wirtschaften, Städte und Grünflächen auszubauen und das Terraforming voranzutreiben, um möglichst viele Siegpunkte zu erzielen. Meilensteine der Terraformung werden besonders belohnt. Wie im echten Leben ist das Geld meist knapp, im Gegensatz zu den Optionen. Aber ein gemeinsames Ziel hat man doch: Die Lebensbedingungen auf dem roten Planeten über viele Generation hinweg komfortabler zu gestalten - mehr Sauerstoff, mehr Wärme, mehr Wasser für alle.
Auch nach Dutzenden von Partien wird das Spiel nicht langweilig. Zu unterschiedlich sind die Entwicklungsmöglichkeiten, die es nehmen kann, und die Strategien, die zum Erfolg führen. Mal wird der Planet zur dicht besiedelten Fläche, mal bleibt er karg, ist aber hochindustrialisiert. Mit jeder Partie lernt man dazu, welche Stärken und Schwächen die einzelnen Konzerne haben - und wie man diese flexibel mit den Karten ausreizen kann, die das Glück einem in die Hände spielt.
Fazit: Für bisherige Nichtspieler mag es ein bisschen dauern, sich einzufuchsen - aber wenn man das System Karten kaufen = Optionen haben, Karten bauen = Erträge bekommen einmal begriffen hat, will man immer wieder auf diesen Mars. Sehr atmosphärisches Spiel mit wunderbar getexteten Karten, die nicht nur Wissenschaftsnerds begeistern. Gute Spielmechaniken, die sehr interaktiv ineinandergreifen. Jede Erweiterung bringt noch einmal ganz neue Elemente ins Spiel.
Für ein bis fünf Spieler ab zwölf Jahren, Spieldauer zwischen anderthalb und drei Stunden.
Passionierte Terraforming-Mars-Spieler fieberten der Neuerscheinung des portugiesischen Autors Vital Lacerda schon lange vor Erscheinen entgegen: Endlich ein NOCH epischeres Spiel auf dem Lieblingsplaneten der Brettspiel-Community! Eine knappe Million US-Dollar sammelte das Projekt auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter 2019 ein.
Mit einer diagnostizierten Optionsparalyse sollte man dieses Spiel allerdings nicht spielen: Es ist in der Tat episch, und es gibt sehr, sehr viele Entscheidungen zu treffen. Die Geschichte: 2037 treffen die ersten Siedler auf dem Mars ein, private Forschungsunternehmen beginnen mit dem Aufbau einer autarken Kolonie. Jeder der bis zu vier Chefastronauten will beweisen, dass sie oder er den besten Job macht. Wir schicken Rover über den Planeten, wir aktivieren Bots, wir bauen Wohncontainer, Sauerstoffkondensatoren und Gewächshäuser. Wir brauchen Wasser, Luft, Energie und Nahrung - und davon bitte möglichst viel, schnell und effektiv. Obwohl die Spieler miteinander wetteifern, gibt es auch gemeinsame Ziele - und wenn einer eine Technologie entwickelt hat, steht sie künftig auch den anderen zur Verfügung.
Dabei flitzt die Marsfähre zwischen Bodenstation und Orbit-Shuttle hin und her. Je nachdem, auf welcher Seite sich der eigene Marker befindet, kann man verschiedene Aktionen durchführen. Das Spiel ist eine herrliche Materialschlacht: Jeder hat mehrere Dutzend Holzfigürchen, Schiffe, Fortschrittswürfel, Bots, Gebäudemarker, Kolonisten, Rover - und neben dem riesigen Hauptspielplan hat jeder Spieler ein eigenes Tableau. Daneben gibt es noch ein Extra-Tableau für Wissenschaftler und jede Menge Marker, Plättchen und Kristalle, Baupläne und Missionskarten. Allein der Aufbau ist beim ersten Mal schon ein knapp abendfüllendes Programm - aber es lohnt sich.
Fazit: Ein bisschen muss man sich schon durchbeißen - niedrigschwellig ist da gar nichts. Aber das 24 Seiten lange Regelwerk ist gut strukturiert. Wer es sich erarbeitet hat, wird mit taktischen Delikatessen belohnt, die auch lange Sitzungen am Spieltisch zum Genuss machen.
Der Verlag gibt die Spieldauer mit optimistischen 80 bis 150 Minuten an, die ersten Partien dürften aber allein schon wegen des nötigen Regelstudiums deutlich länger dauern (für ein bis vier Spieler ab 14 Jahre).
spiegel
Tags: