So will die EU chinesische Übernahmen abwehren

  16 Juni 2020    Gelesen: 702
  So will die EU chinesische Übernahmen abwehren

EU-Wettbewerbschefin Vestager will von der Krise geschwächte Unternehmen vor Übernahmen aus dem Ausland schützen. Denn manche Käufer haben unfaire Wettbewerbsvorteile. Wie die aus China.

Die EU will europäische Unternehmen künftig besser gegen die Übernahme durch staatlich subventionierte Mitbewerber aus dem Ausland schützen. Ebenso sollen Wettbewerbsverzerrungen durch Unternehmen, die staatliche Beihilfen aus dem EU-Ausland erhalten, in Zukunft effektiver gekontert werden können. Möglich soll dies mit neuen wettbewerbsrechtlichen Instrumenten werden, für deren Einsatz unter anderem die EU-Kommission zuständig sein soll.

Dies geht aus einem Weißbuch hervor, das EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wohl am Mittwoch in Brüssel vorstellen will. Der Entwurf des 57 Seiten umfassenden Papiers - "White Paper on levelling the playing field as regards foreign subsidies" - liegt dem SPIEGEL vor. Das Thema China steht am Montagnachmittag auch bei der Videoschalte der EU-Außenminister im Mittelpunkt. Dabei soll es auch einen Austausch mit ihrem US-Kollegen Mike Pompeo geben.

EU-Mitgliedsländer wie Deutschland, Frankreich, Italien und Polen hatten die EU zuletzt aufgefordert, europäische Firmen besser gegen Übernahmen aus China oder den USA zu schützen. Auch die Niederlande hatten bereits im vergangenen Dezember Vorschläge zur Änderung europäischen Rechts gemacht, damit staatliche Aufsichtsbehörden gegen Übernahmen durch Unternehmen vorgehen können, die mit staatlichen Mitteln aus dem Ausland unterstützt werden.

Was sich chinesische Unternehmen bereits geschnappt haben
Viele in der EU haben dabei vor allem China im Blick. Sie fürchten, dass EU-Unternehmen, die gerade jetzt von den Folgen der Coronakrise geschwächt sind, zur leichten Beute für Übernahmen aus China werden könnten, zumal sich kaum kontrollieren lässt, mit wie viel Geld und sonstigen Vorteilen der chinesische Staat seine Unternehmen bei ihrer Einkaufstour unterstützt.

Verlässliche Zahlen gebe es kaum, heißt es in dem Papier. Allerdings hatte die Nachrichtenagentur "Bloomberg" zuletzt Untersuchungen veröffentlicht, wonach China in Europa (nicht nur in der EU) seit 2008 - soweit öffentlich einsehbar - rund 360 Unternehmen übernommen habe - vom italienischen Reifenhersteller Pirelli bis zum irischen Flugzeugleasing-Unternehmen Avolon. Zudem würden chinesische Investoren in Europa teilweise oder ganz mindestens vier Flughäfen, sechs Häfen, Windparks in neun Ländern und mehr als ein Dutzend professionelle Fußballteams besitzen.

Vestager hatte die EU-Mitglieder daher bereits Mitte April aufgefordert, ihre Unternehmen notfalls durch staatlichen Einstieg zu schützen, ein eher ungewöhnlicher Vorstoß seitens der Wettbewerbskommissarin. "Wir haben keine Probleme damit, dass Staaten notfalls als Marktteilnehmer auftreten, wenn sie Anteile an einem Unternehmen bereitstellen, wenn sie eine solche Übernahme verhindern wollen", sagte Vestager in der "Financial Times". Auch EU-Handelskommissar Phil Hogan hatte neue Ideen der EU im Gespräch mit dem SPIEGEL angekündigt. "Die EU bleibt auch in der aktuellen Krise und angesichts der damit verbundenen Herausforderungen für die europäische Wirtschaft offen für Investitionen aus dem Ausland", sagt er. "Allerdings macht diese Offenheit zusätzliche Kontrollmechanismen notwendig, damit unsere Sicherheit nicht gefährdet wird."

Das Problem: Die EU hat zwar bereits eine Reihe von Regeln auf den Weg gebracht, um Übernahmen aus dem Ausland besser begegnen zu können, etwa das sogenannte Investmentscreening, also die Überprüfung von ausländischen Direktinvestitionen in strategische EU-Industrien. Die Regeln der EU zur staatlichen Beihilfe aber umfassen bislang nur solche Subventionen, die von EU-Mitgliedstaaten gezahlt werden. Beihilfen, die aus anderen Ländern kommen, könnten den fairen Wettbewerb im Binnenmarkt aber genauso gefährden. "In der heutigen eng verknüpften Weltwirtschaft können solche ausländischen Beihilfen den EU-Binnenmarkt stören und faire Wettbewerbsbedingungen ('level playing field') zugunsten der Begünstigten beeinträchtigen", heißt es in dem Weißbuch.

Diese Unternehmen stehen im Visier der Käufer
Betroffen seien vor allem die Hersteller von Aluminium, Stahl und Halbleitern sowie der Schiffs- und Automobilbau. Die Beihilfen können dabei viele Formen annehmen, etwa als Steuervergünstigungen gewährt werden oder als staatliche Garantien. Vestager ist sich sicher: "Viele dieser ausländischen Beihilfen wären problematisch, wenn sie von den EU-Mitgliedstaaten vergeben und unter EU-Beihilfenrecht geprüft werden würden", heißt es im Weißbuch.

Das Weißbuch unterscheidet zwischen zwei Fallgruppen:

Zum einen geht es darum, wenn ein Unternehmen im ausländischen Besitz, das in der EU agiert, sich mit ausländischen Beihilfen Wettbewerbsvorteile verschafft.

Zum anderen um die Fälle, in denen mit Beihilfen subventionierte und somit finanzstarke Unternehmen EU-Unternehmen aufkaufen wollen.

Im ersten Fall können Störungen des Wettbewerbs zum Beispiel dadurch ausgeglichen werden, dass das begünstigte Unternehmen den Wert der Begünstigung an den Drittstaat zurückzahlt. Denkbar ist aber auch eine Untersagung. So funktioniert das System derzeit auch innerhalb der EU. Allerdings hat die EU kaum Möglichkeiten zu überwachen, ob der Drittstaat das Geld auch zurückholt. Innerhalb der EU ist das anders, wie beispielsweise der Fall Apple zeigt. Nach dem Willen der EU-Kommission soll Irland von Apple 13 Milliarden Euro zurückfordern, die das Land dem Unternehmen an unfairen Steuervorteilen gewährt hatte. Irland wollte das aber gar nicht - derzeit prozessieren die Kommission und Apple vor dem EU-Gericht.

Dass die EU in dieser Fallgruppe genau hinschauen will, zeigt sich auch daran, dass die Prüfung bereits einsetzen soll, wenn das ausländische Unternehmen innerhalb von drei Jahren mehr als 200.000 Euro an Beihilfen erhalten hätten.

Im zweiten Fall, bei dem nicht nur Vestager China im Hinterkopf hat, könnte es zu einer Anzeigepflicht bei der Kommission kommen, wenn ausländische Konzerne, die in den vergangenen drei Jahren mehr als zehn Millionen Euro Staatshilfe bekommen haben, mehr als 35 Prozent einer EU-Firma mit einem Umsatz von mehr als 100 Millionen Euro kaufen wollen. Die Zahlen stehen in dem Entwurf noch in eckigen Klammern, das heißt, sie können sich noch ändern.

57 Seiten Weißbuch und ein Annex voller Fragen
Ein weiteres Problem sind öffentliche Ausschreibungen in der EU, bei denen ausländischer Unternehmen wegen Beihilfen billigere Preise und Konditionen anbieten können als ihre Konkurrenten in der EU. Wenn Unternehmen in Drittstaaten von niedrigen Steuern profitieren, können sie diese möglicherweise ebenfalls an ihre Tochterunternehmen in der EU weitergeben, so ein Beispiel. Eine Lösung könnte nun in einer Anzeigepflicht bei Projekten bestehen, die ein Volumen von 25 bis 50 Millionen Euro übersteigen, oder solchen Projekten, bei denen die ausländische Finanzspritze fünf Millionen Euro oder fünf bis zehn Prozent des erwarteten Wertes des Vertrages übersteigt.

Die Regeln der Welthandelsorganisation WTO und des Industrieländerverbunds OECD stünden den Ideen im Weißbuch nicht entgegen, heißt es, da die angedachten EU-Regeln auf EU-Unternehmen und solche aus Drittländern gleichermaßen angewandt würden. Die 57 Seiten enden mit einem Annex voller Fragen. Den sollen jetzt unter anderem die Mitgliedstaaten beantworten. Im kommenden Jahr, so der Plan, soll es dann entsprechende gesetzliche Regeln geben.

Einer, der den Entwurf schon mal gelesen hat, ist der CDU-Europaparlamentarier und Binnenmarktexperte Andreas Schwab. Er fürchtet zwar mehr Bürokratie und sieht auch, was die manchmal zu niedrigen Schwellenwerte angeht, noch Änderungsbedarf. Ansonsten aber findet er Vestagers Vorstoß gut. Jetzt müsse schnell die Gesetzgebung folgen, sagt Schwab. "Dafür brauchen wir vor allem das Einvernehmen der Mitgliedstaaten."

spiegel


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