Sarner Toppar sind urgemütliche, handgefertigte Hausschuhe - und eine Beleidigung. "Toppar, kein nettes Wort. Früher wurde gesagt, die Sarner wären immer fünf Jahre hinterher", erklärt Albert Unterweger in seiner Werkstatt, deren Oberlichter den Blick auf Südtiroler Almwiesen und Wälder freigeben.
Tatsächlich wirkt die Wollmanufaktur fortschrittlich. Und das trotz betagter Maschinen, von denen eine "so alt wie der Papa ist" - 85 Jahre also. Vater Josef war es auch, der in einer Zeit, als alle anderen aufhörten, als Handweber 1968 den Betrieb gründete.
"Nachhaltigkeit" ist das Schlagwort, das Albert Unterweger häufig benutzt. Geduldig erklärt der 46-Jährige, wie bei ihm die klassischen Sarner Jangger (Jacken), Teppiche, Kissen und noch einiges mehr entstehen - beliebte Mitbringsel von Touristen.
Wolle von einheimischen Schafen
Aus prallgefüllten Säcken quillt Schafwolle in allen Farben der Natur. Die Wolle wird zunächst sortiert. "Nach Farbe, Feinheit, Länge, Rasse, um möglichst einheitliche Partien daraus zu machen", erläutert der Handweber. Dann wird gewaschen, bei 20 bis 25 Grad im Stahlbecken. Anschließend geht es zum Trocknen in eine Art überdimensionierte Salatschleuder. Selbst gebaute, rechteckige Trockenrahmen entziehen die Restnässe. Der Bergwind hilft.
Unterweger klaubt ein Bündel Wolle aus dem Rahmen. Gut fühlt es sich an, minimal ölig. Nur ganz leicht kann man das Schaf erschnuppern. "Bei unserem Waschprozess bleibt etwas Restfett, das ist gut für die Verarbeitung", also fürs Kämmen, Spinnen, Verstricken und Nähen.
Der Südtiroler ist stolz auf seine Produkte. Der Rohstoff werde so behandelt, dass er seine guten Eigenschaften behalte. "Die Wolle ist ein Geschenk." In diesem Fall von ausschließlich heimischen Schafen. "Unsere Wolle kommt vom Berg zu uns, geht aus dem Geschäft zum Kunden", sagt der Familienvater. "Solange es Leute gibt, denen das bewusst ist, können wir das machen." Das Geschäft sei eine kleine Nische, so Unterweger, "in der wir uns wohlfühlen." Der Sarner Jangger ist in Schnitt und Modell traditionell geblieben.
Das wohltuende Öl der Latschenkiefer
Ein echtes regionales Naturprodukt sind auch die Öle des Familienunternehmens Eschgfeller. Latsche, Weißkiefer, Lärche, Fichte, Wacholder, Zirbe und Weißtanne landen hier nach dem Destillationsprozess, den man auch besichtigen kann, 100 Prozent naturrein und biozertifiziert in Flaschen und Flakons.
Die Familie exportiert 2000 Liter Öl jährlich nach Deutschland und Österreich. Ein Teil wird vor Ort verkauft und im Wellnessbereich des eigenen Betriebs genutzt.
Zu Klassikern wie Privatsauna, Massagen, Depilation oder Peelings kommt das "Original Sarntaler Latschenkiefernbad". Mit Heugabel und in Gummistiefeln wirkt Christine Eschgfeller keinesfalls wie eine konventionelle Kosmetikerin. Unter dem Holzüberstand in freier Natur legt sie ihre Kundschaft in das Material, das vom Latschenölbrennen übrig bleibt. 50 bis 60 Grad warm ist das wohlige Bett aus den vom Wasserdampf erhitzten Nadeln, Zweiglein und Holzstückchen.
Der Geruch liegt irgendwo zwischen ofenfrischen Zimtschnecken und würzig-orientalischem Tabak. Der Blick fällt auf schneegesprenkelte Bergrücken und saftig grüne Wiesen, im Ohr das Rauschen des Bachs. Sanft streicht die gelernte Masseurin mit einem befeuchteten Tuch übers Gesicht. Natur-Wellness nach Sarntaler Art.
Früher war die Arbeit sehr hart
"Die Schwiegereltern haben vor 50 Jahren begonnen. Damals gab es sogenannte Wanderbrennereien auf der Alm, die Männer haben in den Latschen gearbeitet, oben gehäckselt, Kessel gefüllt und destilliert", sagt Eschgfeller. Eine mühsame Arbeit, nach der die ofenwarmen Latschenkiefern die geschundenen Rücken kurierten. "Damals musste man alle zwei Stunden in der Nacht aufstehen, damit das Feuer nicht ausgeht, das geht heute automatisch."
Die Arbeit im Berg oberhalb der Waldgrenze auf 1800 bis 2300 Höhenmetern sei dagegen noch echte Handarbeit mit Säge und Axt, sagt Eschgfeller. Gerodet werde in enger Abstimmung mit der Forstbehörde. "Es wächst mehr Latsche nach, als wir entnehmen." Das liegt am sauren Boden vulkanischen Ursprungs. "3000 Hektar Latschen haben wir im Sarntal, 6000 sind es in ganz Südtirol", sagt die Frau, deren Schwiegervater als Erster die Brennerei ins Tal gebracht habe. "Schwiegermutter hat dann das Latschenbad entwickelt."
Dieses Bad endet mit dem "Abkneippen" durch die Masseurin. Bedeutet: Handtuch weg, Schlüpfer aus und dann in prickelnd kaltes Wasser. Im Ruheraum entspannt man unter einer Zirbenbogendecke.
Wanderrouten im Sarntal
So viel Erholung macht fit für den Berg, immer den Latschen auf der Spur. Im Sarntal werden sie Reischn genannt. Die Kabinenbahn schwebt ab Reinswald zur Bergstation Pichlberg auf 2130 Meter: Startpunkt des Urlesteigs, der zum 500-Kilometer-Wanderwegenetz der Sarntaler Alpen gehört. Da surren Wasserräder geschäftig zwischen Latschenwäldchen im Gebirgsbach, gletscherwasserkalte Teiche können mit dem Floß gequert werden, und ein Latschenlabyrinth verspricht Abenteuer.
Ebenso familientauglich ist der Rundweg um den Durnholzer See: Natur pur mit Blick auf die Kirche und Almblumenidyll.
Wenige Fahrkilometer entfernt, im "Santerhof" in Unterreinswald, können schon die Allerkleinsten ihre Pizza auf Holzbänken im Garten gemeinsam mit Enten, Schafen, Ziegen, Hasen, Meerschweinchen, Katzen und Igeln verschmausen.
Stattdessen kann man ab der Sarner Skihütte auf 1618 Meter über die Auener Alm mit netter Gastschenke zu den Stoanernen Mandln auf der Großen Reisch aufbrechen, eine gut 2000 Meter hohe Bergkuppe. Um den Nachwuchs zu tragen, braucht es hier die Kraxe. Oben wartet eine wahre Steingestalten-Armee samt imposantem Dolomitenblick.
Weniger alpin, aber ebenso abwechslungsreich ist der Sagenweg in Aberstückl. Schülerinnen und Schüler der lokalen Grundschule haben den Weg gemeinsam mit Forstbehörde und Tourismusverein gestaltet. Schmale Pfade, Weiden, Holzbrücken, Wasserfälle, Geröllfelder und immer wieder liebevoll erdachte Stationen zur Sagenwelt der Region, vom Vogel Greif bis zum goldenen Kegelspiel.
Nur die Anfahrt ist etwas schwierig: Hat man es in den Ortskern von Aberstückl geschafft, geht der Sagenweg nach Weiterfahrt auf der Aberstückler Höfestraße in der siebten Kehre ab. Parkplätze sind rar.
Eine ganz besondere Handwerkskunst
Zurück im Tal markiert ein Pfau lautstark sein Revier auf einem der vielen pittoresken Höfe der Region. Pfauenfedern sind das Ausgangsmaterial eines weiteren traditionellen Gewerks im Sarntal. Federkielsticker Ulrich Thaler streicht im Untergeschoss des Familienbetriebs locker über ein Bündel Federn. "Im Juli, August verliert der Pfau die Federn, dann kommen wir beziehungsweise die Bauern und sammeln sie auf", erklärt er. Verwendet werden Federn von 80 bis 90 Zentimetern Länge aufwärts. Nicht der schöne grün-blau-schillernde - sondern der untere Teil.
50 Prozent der verarbeiteten Federn stammen von Südtiroler Bauernhöfen, der Rest aus Tierparks oder Pfauenzuchten, berichtet Thaler. In fast kontemplativer Feinarbeit werden durch Spaltung aus den Federn je sechs bis acht Stickfäden gemacht - die Federkiele. Diese werden dann durch mit spitzer Ahle vorgestochene Löchlein zu filigranen Motiven auf Rinds- und Kalbslederprodukte verstickt.
Trachtengürtel zum Preis eines Kleinwagens
"Seit etwa 250 Jahren gibt es das Handwerk der Federkielstickerei. Wir haben immer noch die gleiche Arbeitstechnik wie damals", berichtet Thaler. Vier bis fünf Jahre dauere die Lehre. Der Fachmann zeigt auf einen opulent bestickten Trachtengürtel. "100 Arbeitsstunden, der ist etwa 5000 Euro wert. Wenn wir ganz aufwendig sticken, kann es den Preis eines Kleinautos haben."
Solche Gürtel sind Statussymbole und Erbstücke. Sie und auch fein bestickte Hosenträger werden vor allem von Schützengesellschaften, Musikgruppen und Trachtenvereinen bestellt. Traditionelle Muster, immer neu interpretiert, garantieren Unikate. Lieferzeit der Schmuckstücke: durchaus mal zwei Jahre.
Schneller geht es bei Bestellungen des zweiten Hauptsektors der Federkielsticker - auf personalisierte Geldbörsen oder Schlüsselanhänger wartet man rund acht Wochen.
"Unser Handwerk braucht so gut wie keine Maschinen", betont Thaler. "Nur gutes Licht." Etwa 1500 Stiche macht ein erfahrener Federkielsticker am Tag. Fleißarbeit.
"Ein arbeitsames Tal mit arbeitsamen Leuten", so beschreibt Handweber Albert Unterweger seine 7000-Einwohner-Heimat, flächenmäßig die größte Gemeinde Südtirols und genauso groß wie Malta.
Die frühere Abgeschiedenheit des Sarntals hat seine Bewohner offenbar erfinderisch und das Haushalten mit Ressourcen zur Prämisse gemacht. Etwas, wovon Familien heute wieder lernen können. Man nennt es dieser Tage Nachhaltigkeit.
Quelle: ntv.de, Larissa Loges, dpa
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