Wenn Mercedes der Presse ein neues Fahrzeug vorstellt, sind meist auch die Klassiker nicht weit. Das versteht sich von selbst bei einer Marke mit einer solch langen Tradition, quasi beim Erfinder des Automobils, denn als solcher begreift sich Mercedes ja. Aber bei der Vorstellung der modernisierten G-Klasse haben die Schwaben es auf die Spitze getrieben und setzen Klassiker für die Weiterfahrt ab der Sammelstelle ein, wo sämtliche Kollegen anlanden. Und zwar noch bevor es hinter das Steuer des neuen Modells geht. Auf der Fuhrparkliste stehen Positionen wie einfach bloß der bis 2018 gebaute W 463 I, aber auch einige wirklich frühe Urmodelle aus den Jahren 1979 bis Mitte der Achtziger.
Ich picke mir ein ganz besonderes Exemplar heraus, das es nicht sonderlich häufig gibt: den Zwölfzylinder namens G 65 AMG. Hineingeklettert, Schlüssel gedreht - und der Sechsliter springt mit summendem Anlassersound an. Dann rolle ich los Richtung Ausfahrt und muss ein bisschen schmunzeln. Erstens, dass ich im Zwölfzylinder unterwegs bin. Und zweitens ist es einfach merkwürdig, denn von einer AMG-G-Klasse erwartet man fettes Bollern. Diese hier ist zwar akustisch präsent, aber bollert eben nicht. Es ist eher ein höherfrequentes Schreien, typisch V12 halt.
Das ist fast noch interessanter, als den Punch der 630 Pferdestärken zu erleben. Wobei - nicht minder spannend -, hier kann man sehr schön den Unterschied zu den danach herausgebrachten G-Klassen mit Einzelradaufhängung vorn erleben. Der mit zwei Starrachsen ausgerüstete G 65 schiebt zwar urgewaltig, aber so richtig anzugasen traut man sich fast nicht, weil der Geradeauslauf bescheiden ist mit der wenig präzisen Kugelumlauflenkung. Und man betet bei jedem Gasstoß, nicht im Straßengraben zu landen. Kaum vorstellbar, dass man mit dem Monster sicher 230 km/h fahren können soll.
Bei den frühen Modellen bedeutet Fortbewegung noch Arbeit
Die später ebenfalls ausgeführten Früh-Exemplare 230 G und 280 GE kämpfen mit diesem Problem weniger, weil bei den 90 beziehungsweise 156 PS starken Versionen einfach alles viel langsamer vonstattengeht. Wer die Ungetüme mit dem architektonisch spröde wirkenden Nutzfahrzeug-Cockpit beherrschen möchte, darf allerdings nicht zimperlich sein. Es vibriert und rappelt aus allen Richtungen und die fehlende Servounterstützung erfordert einen kräftigen Zug am dünnen Lenkradkranz. Außerdem wird bei den Test-Exemplaren manuell geschaltet, was zwar geschmeidig gelingt, aber dennoch ungewöhnlich anmutet. Erstaunlich ist allerdings, dass man selbst in diesem eher mager gedämmten Umfeld einen massiven Unterschied in der Laufkultur verspürt zwischen Vier- und Sechszylinder.
Aber nach diesem kleinen Exkurs geht es auch schon in das brandneue Modell. Gestartet wird mit der Version, die in der Praxis wohl den größten Unterschied zum Vorgänger liefern dürfte, abgesehen von der batterieelektrischen Variante. Die Rede ist vom G 500. Mit 449 plus 20 PS (Startergenerator) bietet der doppelt aufgeladene Dreiliter zwar weniger Hubraum und Zylinder als sein Vorgänger, aber doch ein gerüttelt Maß mehr Leistung. Und jetzt kommen endlich auch diejenigen Kunden auf ihre Kosten, denen das Bollern der zivilen V8-Variante immer schon ein Dorn im Auge war.
Der neue Fünfhunderter läuft natürlich allein vom Klangbild her geschliffener und äußerst kultiviert. Und auch der Rest stimmt vom Fahrwerk (dieser G läuft stoisch geradeaus und ist komfortabel) über die Kraftentfaltung bis hin zu den Fahrleistungen. Unter Last geht es stürmisch nach vorn (5,4 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h und 210 km/h Topspeed), aber der jetzt W465 heißende Zweieinhalbtonner verzögert ebenso punktgenau und entpuppt sich als perfekter Alltagsbegleiter. Die Neungang-Wandlerautomatik ist freilich obligatorisch, wie bei den anderen Modellen auch.
Der V8 lebt weiter
Und wenn dann doch die Sehnsucht nach dem Achtender aufflammt? Tja, dann muss der geneigte Interessent wohl mal auf seinem Konto nachschauen, ob statt 132.328 auch 189.329 Euro überwiesen werden können. Dann fährt man achtzylindrig und quasi leistungsgleich zum Vorgänger (585 PS). Nur, dass es 20 zusätzliche Pferdchen in elektrischer Form gibt, um dem G 63 das Trinken abzutrainieren. Klappt jedoch bloß bedingt - zwischen 14,7 und 15,7 Liter sollen laut Werk alle 100 Kilometer durch die Leitungen fließen (WLTP), was deutlich mehr ist als beim G 500 (10,9 bis 12,3 Liter). Da Mercedes hier aber ohnehin eine finanzstarke Zielgruppe im Visier hat, dürfte dieser Umstand nachrangig sein.
Spannender ist da schon das sogenannte Ride-Control-Fahrwerk mit regelbarer Nick- und Wankneigung. Eine Pumpe erzeugt den entsprechenden Druck im System und je nach Programmwahl geht es dynamischer oder komfortabler Richtung Horizont oder auch quer auf Schotter. Dass der G 63 das Zeug zum rasanten Rallyefahrzeug hat, beweist er auf dem Testparcours in ziemlich dynamischer Art und Weise. Aber auch auf glattem Asphalt macht der neuerdings bis zu 240 km/h schnelle Sport-G mächtig Spaß (4,4 Sekunden bis 100 Sachen), schreckt nicht vor schnell gefahrenen Kurven zurück und bewahrt sich ein ansehnliches Maß an Restkomfort, falls es mal auf die Langstrecke geht.
Aber das revolutionäre Element erhält die G-Klasse keineswegs durch den Feinschliff, der sie zweifellos ein weiteres Stück gen Perfektion treibt. Nein, es ist der erstmals auch verfügbare elektrische Antrieb. Die Ironie an der Sache ist bloß, dass die batterieelektrische Variante ausgerechnet in der ureignen G-Klasse-Disziplin, dem Geländekraxeln, signifikante Vorteile gegenüber dem Verbrenner bietet. Wie blöd, dass die wenigsten Kunden diese Fähigkeit in der Praxis nutzen. Also wird es dafür Zeit, könnte man proklamieren.
Ich spare mir jetzt, ausführlich zu erklären, wie der Dreitonner mit 587 PS aus vier radnahen Motoren auf der Straße fährt. Er schiebt und schiebt und schiebt (1164 Nm Drehmoment), fühlt sich deutlich leichter an, als er ist. Leider ist sein 116 kWh großer Akku (netto) nach maximal 473 Kilometern leer gemäß WLTP und dann muss 32 Minuten geladen werden mit maximal 200 Kilowatt. Und ja, man kann einen ziemlich authentisch klingenden V8-Ersatzsound einstellen, der über eine Vielzahl von Lautsprechern (auch außen) an die Ohren der Zuschauer getragen wird. Aber will man nicht lieber das Original, auch wenn der dafür gewählte Marketingbegriff "G-Roar" noch so schön ist?
Keiner kraxelt besser als der Stromer
Egal, im Gelände ist der G 580 der absolute Killer. Weil du einfach irre präzise dosieren kannst, wenn es einen steinigen Steilhang mit Verschränkung hinaufgeht. Der Verbrenner hängt dann irgendwo im Wandler und du spielst mit dem Gas. Hier schreitest du einfach drei Millimeter weiter auf dem Fahrpedalweg und das Präzisionsgerät folgt feinsinnig. Es gibt für jedes einzelne Rad eine Getriebeeinheit mit Untersetzungsstufe, mehr Geländefähigkeit geht einfach nicht. Und die herrlich-genüssliche Ineffizienz, mit der das E-Monster kokettiert, wird wenigstens durch leistungsfähige Schubrekuperation ein bisschen abgemildert.
Wenn es den 100-Prozent-Steilhang also hinabgeht, kommt wieder ein bisschen Energie in den Akku. Mercedes schont den G 580 "mit EQ-Technologie" nicht, führt über Stock und Stein geradewegs in eine Wasserdurchfahrt. Der Fünfachtzig kann tiefer als die Verbrenner (85 Zentimeter), weil er nicht aus Versehen Wasser ansaugen kann. Auch 35 Grad Schräglage sind ein Wort. Und wenn ich mit dem Geländetempomat so über das steinige Geläuf kraxle, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Es rumpelt und knallt lautstark, der Dreitonner setzt immer irgendwo auf. Doch der Instruktor auf dem Beifahrersitz grinst mir bloß ins Gesicht. "Den Akku im Unterboden bekommst du nicht kaputt", schließlich schützt eine unglaublich stabile Bodenplatte (rund drei Zentimeter dick) aus einem Carbon-Materialmix vor gefährlichen Blessuren.
Ob die batterieelektrische Version fleißig gekauft wird, bleibt abzuwarten. Einerseits könnte sie von der deutlich günstigeren Dienstwagensteuer profitieren - diese wird hier auf Grundlage des halbierten Bruttolistenpreises berechnet. Und der reguläre Listenpreis für den G 580 liegt mit 142.621 Euro bereits deutlich unter dem des ähnlich starken G 63. Dieser beschleunigt mit einem Standardsprint von 4,7 Sekunden fast genauso feurig, allerdings ist bei 180 km/h Schluss. Mehr schmerzen dürfte allerdings die zwingende Abwesenheit einer Anhängerkupplung, jedenfalls hierzulande.
Klar, der Stromer hätte noch zwei Asse im Ärmel mit "G-Steer" und "G-Turn". Bloß, dass der lässige Drift um die Kurve mit stark reduzierendem Lenkwinkel im Normalmodus auf der Straße nicht funktioniert. Und ganz ehrlich: Um die eigene Achse rotieren (G-Turn) lässt du die G-Klasse ein paar Mal zu Show-Zwecken. Danach nutzt sich der Effekt ab, so cool er auf Außenstehende wirken mag.
Also am Ende doch die vernünftigste Offerte nehmen? Das dürfte der inzwischen auf 367 plus 20 PS erstarkte und elektrifizierte Dreiliter-Reihensechszylinder-Diesel mit bulligen 750 plus 200 Newtonmetern Drehmoment sein. Der bodenständig schnarrende (aber betont leise) Selbstzünder ist immer noch das Arbeitsgerät schlechthin, zieht wie die anderen Verbrenner 3,5 Tonnen weg und verrichtet seine Dienste unauffällig, aber auch biestig schnell. Mühelos geht es gemeinsam mit dem Neungang-Wandler auf Tempo (5,8 Sekunden bis 100 km/h und 210 Sachen) und der Antriebsstrang verströmt generell Souveränität. Für 122.808 Euro bekommt der Kunde diese einzigartige Melange aus Hardcore-Geländefähigkeit mit drei 100-Prozent-Differenzialsperren, Luxusauto-Fahrkomfort und inzwischen auch dynamischeren Gepflogenheiten.
Und der Verbrauch soll sich beim 450d laut WLTP auf 8,7 Liter je 100 Kilometer drücken lassen. Sparsamer und praxistauglicher (über 1100 Kilometer Reichweite sowie mehr als 2000 Liter Kofferraumvolumen) kann man den rund 4,70 Meter langen Kultwagen nicht fahren. Mit dem W465 gelingt es jedenfalls in der bisher modernsten Form. Und weiter gehts mit der Legende.
Quelle: ntv.de
Tags: