Ein solcher Tipp war der eines Patienten oder vielmehr: dessen Keks-Experiment, mit dem er sich selbst beim Abnehmen motivierte. Wichtigstes Objekt ist dabei ein Teller mit Keksen. Der wird an einen zentralen Punkt gestellt. Das kann in der Wohnung ebenso wie auf der Arbeit sein. Beim Vorbeigehen an diesem Teller fällt der Proband jedes Mal eine Mikro-Entscheidung: sich keinen Keks zu nehmen und standhaft zu bleiben. Je öfter der Proband am Teller vorbeigeht, umso mehr wird die Willenskraft gestärkt. Lockt später eine größere Herausforderung, beispielsweise in Form von Pommes, kann sich der Proband sagen: "Dann hätte ich auch die Kekse nehmen können." Und so bleiben die Pommes öfter mal ungegessen.
Als ihm der Patient von seiner Keks-Erfahrung erzählte, dachte Lekutat zunächst: "Der spinnt." Nach näherer Beschäftigung aber entwickelte er daraus ein Programm: kleine Entscheidungen – kleine Schritte, die Keks-Formel eben. Der erste Teilnehmer in seinem Programm schaute ihm morgens aus dem Spiegel entgegen. Mit der antrainierten Lebensweise nahm Lekutat selbst 23 Kilogramm ab. Im Buch "Meine besten Hausarzttipps" gibt er seine Erfahrungen in 19 Alltagsaufgaben weiter, im Herbst startet er eine Show zum Thema.
Eine Rosine mal richtig schmecken
Eine zentrale Aufgabe hat mit Achtsamkeit zu tun – und mit einer einzelnen Rosine. Wer macht sich sonst schon Gedanken über Form, Farbe, Temperatur oder Gewicht einer Rosine? Wer schmeckt sie mal länger als für einige Sekunden? Und so rät Lekutat auch zum Umgang mit einem Stück Sahnetorte: "Wer sie nicht reinschaufelt, sondern achtsam Bissen für Bissen ist, wird schnell merken, wie wenig er sie eigentlich mag", erklärt der Arzt.
"Beim Ändern von Gewohnheiten helfen am besten kleine, gangbare Schritte", meint Lekutat. Wer sich am Feierabend für den Sport zu müde fühle, solle sich zwar die Laufschuhe trotzdem anziehen, mit ihnen aber nur spazieren gehen. Für den Alltag empfiehlt Lekutat Achtsamkeitsübungen. Smartphone steckenlassen, tief einatmen, ein wacher Rundumblick auf alle Dinge im Umkreis, die lila sind – solche Übungen "erden" Lekutat im hektischen Berlin.
Und was hätte Lekutat in seinem Leben anders gemacht, wenn er das Rad zurückdrehen könnte? "Wehret den Anfängen", antwortet er klar. "Ein Kilogramm abzunehmen ist kurz und anstrengend. 23 Kilogramm abzunehmen ist lang und anstrengend."
Gewohnheiten mit dem Internet ändern – das geht
Dass aber auch Technik dabei helfen kann, Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten umzustellen, wiesen jüngst Gesundheitspsychologen der Jacobs University in Bremen nach. Vera Storm, Sonia Lippke und ihre Kollegen gingen der Frage nach, wie effektiv und praktikabel dafür ein internetbasiertes Programm ist. Die Ergebnisse wurden jüngst im "Journal of Medical Internet Research" veröffentlicht. "Es ist nicht leicht, so zu essen und sich so viel zu bewegen, wie man es eigentlich gerne würde", wissen die Forscherinnen. "Ständig kommt etwas dazwischen, und es ist sowieso zu wenig Zeit." Doch es gibt Hoffnung.
Handlungs- und Bewältigungsplanung – also das konkrete Planen von künftigem Verhalten und dem Umgang mit Hindernissen – sind demnach zwei wichtige Bausteine. Auch die Selbstwirksamkeitserwartung – das Gefühl, etwas schaffen zu können, auch wenn es schwierig wird – hat sich bewährt, wenn auf die gute Absicht auch ein tatsächliches Verhalten folgen soll.
Die Forscher begleiteten 790 Personen aus Deutschland und den Niederlanden über drei Monate. Teilnehmen konnte, wer sein persönliches Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren wollte. Der Internetkurs selbst erstreckte sich über acht Wochen. Die Probanden benannten ihre Gesundheitsziele und passten sie teilweise noch etwas an. Jeder suchte sich einen für sich passenden Weg, diese Ziele in Form von Handlungs- und Bewältigungsplänen in die Tat umzusetzen. Alle erhielten zudem individuelles Verhaltensfeedback.
Mehr Obst und Gemüse – ein Erfolg
Das zeigte Erfolg: Die Teilnehmer steigerten innerhalb von acht Wochen sowohl die körperliche Aktivität als auch den Konsum von Obst und Gemüse. Damit sich nach dem kurzfristigen Erfolg aber auch langfristig Gewohnheiten änderten, waren Selbstwirksamkeit und die konkrete Planung vom künftigen Verhalten am wichtigsten.
"Selbstwirksamkeit in Kombination mit dem Aufstellen von Handlungs- und Bewältigungsplänen wirkt sich positiv auf die längerfristige Gewohnheitsbildung von Menschen aus – und zwar unabhängig von Alter, Geschlecht, BMI, Berufsstand und Familienstand", sagt Vera Storm. "Das sollte in künftigen internetbasierten Interventionen und der Rehabilitation Beachtung finden."
An chronisch Kranke richtet sich auch das Selbstmanagement-Programm Insea – Abkürzung für "Initiative für Selbstmanagement und aktives Leben". Schließlich müssen sie sich neben dem normalen Alltag aktiv um ihre Gesundheit kümmern. Gleichzeitig sollten sie aber lernen, mit körperlichen und emotionalen Höhen und Tiefen umzugehen.
Schweinehund überlisten, bevor er zuschnappen kann
In den Kursen lernen die Betroffenen, beispielsweise mit Schmerzen umzugehen, sich selbst zu motivieren oder Selbstvertrauen im Umgang mit der Krankheit zu entwickeln. Wichtiges Prinzip ist, dass die Kurse von ausgebildeten Betroffenen aus der Selbsthilfe gemeinsam mit Mitarbeiterinnen aus den Selbsthilfekontaktstellen geleitet werden.
Die Kurse dauern sechs Wochen plus einen Zusatztermin, an dem die Teilnehmenden die örtlichen Selbsthilfegruppen kennenlernen können. Die Teilnehmer treffen sich wöchentlich, die Teilnahme ist kostenfrei. Entwickelt und überprüft wurde das Programm an der Universität Stanford. Die Teilnehmer zeigten nach der Teilnahme am Programm eine deutlich verbesserte Lebensqualität, mehr psychisches Wohlbefinden, dafür weniger Erschöpfung und soziale Isolation.
Ob Keks-Experiment, Internet- oder Selbstmanagementkurs – die Änderung von Gewohnheiten hat also viel damit zu tun, wie sehr sich jemand selbst motivieren kann. Wie das gelingen kann, zeigt Hausarzt Carsten Lekutat in seinem Buch mit gleich mehreren Tipps, die ihm selbst durch den Alltag helfen. Bei einem werden sich viele Freizeitläufer wiedererkennen: Obgleich er das Joggen offenbar wirklich schätzt, steht ihm dabei oft der innere Schweinehund im Weg. Der Schweinehund aber kommt erst gar nicht richtig in die Gänge, wenn die Joggingrunde gleich bei der Arbeit beginnt und nach Hause führt. "Meine Joggingrunde wird damit zur Joggingstrecke und verfolgt ein weiteres Ziel", schreibt Lekutat – "nämlich den Heimtransport meines Körpers". Das Auto bleibt dann an der Arztpraxis stehen. Die Folge: Am nächsten Morgen steht gleich der nächste Lauf an.
Quelle : welt.de
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