Oder etwa nicht? Tun die, tun wir das vielleicht zumindest auch für die Likes auf Facebook und Instagram? Um damit denen da draußen an den Smartphones unter anderem zu sagen: "Ätsch, ich bin drinnen und ihr nicht, und es ist sooo super!"
Früher nannte man das Bootleg
Aber ist es das wirklich, wenn ein Großteil der Konzertbesucher heute mehr damit beschäftigt zu sein scheint, den Augenblick mit dem Handy zu dokumentieren, als tatsächlich den Augenblick zu erleben, in dem Moment, da er geschieht? Brechen sie nicht selbst das Versprechen, dass ein Live-Erlebnis etwas Unmittelbares, also nicht medial Vermitteltes ist, wenn sie eine Situation schaffen, in der sie selbst und alle Umstehenden erkennen müssen, dass sie Teil eines Medienereignisses sind? Und sind wegen des ganzen Gefilmes und Gepostes nicht nur die Musiker auf der Bühne längst genervt, sondern eben auch diejenigen Leute im Publikum, die denen da oben einfach nur zuhören wollen? Ja, kann man denn heutzutage nicht mal in Ruhe Axl Rose beim Durchquengeln eines Konzerts von Guns N` Roses zusehen, ohne dass einem Hunderte emporgereckter Handys den Blick auf das ganze verdammte Desaster versperren?
Das fragten sich wohl auch Guns N` Roses selbst und erklärten im April ihr Reunion-Konzert im ehrwürdigen Musiksaal Troubadour in West Hollywood zur telefonfreien Veranstaltung. Wobei: Vermutlich sollte doch eher verhindert werden, dass in Ton und Bild dokumentiert und gleich in die Welt hinausposaunt werden konnte, wie es um den Frontmann bestellt ist, nicht nur stimmlich. Relativ schlecht nämlich.
Aus den besseren Zeiten der Band gibt es freilich auch Konzertmitschnitte, beispielsweise von 1986 aus dem Troubadour, heimlich mit dem Kassettenrekorder unter der Jacke aufgenommen. Solche Bootlegs, die früher zunächst auf Vinyl oder Kassette, später auch auf CD an den offiziellen Vertriebswegen der Plattenfirmen vorbei verkauft wurden, waren selbstverständlich illegal. Heute ist die Aufnahme aus dem Jahr 1986 als Audio-Stream selbstverständlich auf YouTube zu finden, neben unzähligen Handyfilmchen aktuellerer Auftritte von Guns N` Roses. Das Netz ist viel zu groß, um alles Unerlaubte wieder einzufangen. Und wir empfinden es ja auch gar nicht so, als täten wir etwas Verbotenes beim Veröffentlichen oder Anschauen ungenehmigter Fotos oder Videos, die halbwegs bekannte Menschen zeigen, bei welchen Verrichtungen auch immer. Diese Leute haben das Recht an ihrem eigenen Bild scheinbar verwirkt. Also halten wir, die ansonsten unsichtbare Masse, voll drauf.
Erfindung aus dem Silicon Valley
Und immerhin, denken wir, bedeutet zum Beispiel das Mitfilmen eines Konzerts ja keinen Eingriff in die Privatsphäre von Musikern. Die machen das da oben auf der Bühne beruflich, also sollen sie sich nicht so anstellen.
Tun sie nun aber doch, und wie zuvor Guns N` Roses lässt nun Alicia Keys auf ihrer aktuellen Tour die Smartphones von Konzertbesuchern am Eingang gleichsam versiegeln: Sie werden den Leuten zwar nicht abgenommen, aber in verschließbare Handytäschchen gepackt, die man nur an speziellen Unlock-Stationen außerhalb des Saals wieder öffnen kann. Wenn jemand doch mal telefonieren muss, kann er oder sie vor die Tür gehen und sich vom Personal das Täschchen aufmachen lassen; das verschließt es dann aber gleich nach Gebrauch wieder.
Das neue System stammt von einem Silicon-Valley-Start-Up namens Yondr und wurde in den vergangenen Monaten zunächst bei Comedy-Shows in den USA erprobt, etwa bei Auftritten von Dave Chapelle und Louis C.K., die damit verhindern wollten, dass ihr neues Witzematerial sich über Handyvideos im Internet verbreitet. Mitschnitte von Auftritten kann man außerdem als Komiker ja auch selbst digital vertreiben, Louis C.K. etwa tut das über seine eigene Website und dürfte damit viel Geld verdienen.
Für Musiker wie Alicia Keys hingegen dürfte der finanzielle Anreiz der Handysperre nicht ganz so groß sein. Außer sie hoffen, damit ein Revival einer in den vergangenen Jahren etwas verschwundenen Albengattung auszulösen, die des Livealbums. Doch der parallel geschehene Aufschwung der Konzertbranche zeigte ja gerade, dass die Menschen eben fürs Erlebnis Liveshow gern bezahlen wollten, an dessen konservierter Form Livealbum aber kaum noch Interesse hatten. So sind auch alle Versuche gescheitert, den Leuten hastig zusammengebastelte Mitschnitte entweder schon beim Verlassen des Konzerts am Merchandise-Stand zu verkaufen oder sie ihnen gegen Geld hinterher nachzuschicken.
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