Er lässt sich nicht wegekeln

  22 Juli 2016    Gelesen: 560
Er lässt sich nicht wegekeln
Seit Corbyn Labour-Chef ist, sind Hunderttausende der Partei beigetreten. Obwohl Establishment und Medien ihn diskreditieren, gibt ihn die Basis nicht auf.
Jeremy Corbyn lässt sich nicht einschüchtern. Der Labour-Chef ist zuversichtlich, sein Amt zu behalten und nach den Parlamentswahlen 2020 britischer Premier zu werden. "In vier Jahren können noch viele Debatten gewonnen und verloren werden", sagte er diese Woche in Anspielung auf die vielen Attacken, die er in den letzten Monaten erfuhr.

Gerade versuchen Teile der britischen Sozialdemokratie, ihn von seinem Posten zu verjagen. Der Wahlkampf um die Neuwahlen zum Parteivorsitz wurde diese Woche eröffnet, ein Ergebnis soll Ende September feststehen.

Corbyn ist umstritten und steht dennoch für einen Erfolg, um den ihn andere Genossen in Europa beneiden: Inmitten der Krise der Sozialdemokratie schaffte es ausgerechnet ein Politiker aus den hintersten Reihen, die britische Sozialdemokratie wieder interessant für die breite Masse zu machen. Seit Corbyn im September 2015 durch einen Mitgliederentscheid an die Parteiführung aufrückte, hat sich die Labour-Parteibasis mit über 600.000 Mitgliedern mehr als verdoppelt. Zuletzt hatte Labour in den späten Siebzigern so viele Mitglieder. Zum Vergleich: Im bevölkerungsstärkeren Deutschland schrumpfte die Mitgliederzahl der SPD von über einer Million unter Willy Brandt auf weniger als die Hälfte im Jahr 2015 (442.814).

Trotzdem wird der Abgeordnete aus Nordlondon bitter bekämpft. Seine größten Gegner kommen aus den eigenen Reihen, sie sitzen vor allem im Parlament: Im Juni sprachen sich 172 von 212 Labour-Abgeordneten in einem Misstrauensvotum gegen Corbyn aus und forderten seinen Rücktritt. Nachdem er den Rücktritt verweigerte, wurden durch die Aufstellung von Gegenkandidaten Neuwahlen angestrengt, wobei Corbyn zunächst gar nicht erst auf der Wahlliste stehen sollte. Erst das Einschreiten der Labour-Verwaltung NEC vergangene Woche garantierte ihm den Listenplatz.

Bei den Wahlen dürfen erstmals nur Parteimitglieder abstimmen, die schon vor Februar bei Labour waren. Alle anderen mussten die Wahlgebühr für Nichtmitglieder zahlen, die von drei auf 25 Pfund erhöht wurde. Auch der Registrierungszeitraum wurde auf zwei Tage verkürzt. Für viele sind diese Maßnahmen ein Schachzug, um Corbyns Unterstützer von der Wahl fernzuhalten: Viele Labour-Mitglieder kamen erst wegen Corbyn zur Partei und stammen aus sozial schwachen Milieus. Für Sozialleistungsempfänger oder Minijobber ist es nicht ohne Weiteres möglich, in zwei Tagen 25 Pfund aufzutreiben.

Corbyns unkonventionelle bis verschrobene Art provoziert die Eliten: Er sträubte sich lange, ordentliche Anzüge zu tragen, besitzt kein Auto und macht seine Steuererklärung eigenhändig. Im April warf Ex-Premier David Cameron Corbyn in einer Parlamentsdebatte vor, die letzte Erklärung zu spät abgegeben zu haben: "Das ist sinnbildlich für die Labour-Politik. Sie ist zu spät, chaotisch und inakkurat." Corbyn entgegnete daraufhin: "Ich zahle mehr Steuern als die meisten Unternehmen, deren Manager Cameron ziemlich gut kennen dürfte."

Wegen solcher Aussagen gilt Corbyn als Mann der einfachen Leute. Seit Jahrzehnten begleitet er politische Straßenproteste und unterstützt Graswurzelorganisationen. Das Motto seiner Kampagne lautet: "Die Stimme des Volkes". Viele nehmen es ihm allerdings übel, ebenjenes Volk nur halbherzig gegen den Brexit mobilisiert zu haben. Corbyn kommt aus dem linken EU-skeptischen Lager und bemängelt schon seit Jahren fehlende demokratische Strukturen und die europäische Austeritätspolitik. Sein Parteikollege Phil Wilson beschuldigte Corbyn sogar in einem Gastbeitrag im Guardian, die Remain-Kampagne gezielt sabotiert zu haben.

Medien greifen Corbyn mit fragwürdigen Mitteln an

Doch die Kritik an Corbyn geht tiefer. Schon seit Beginn seiner Amtszeit im Herbst 2015 wurde er von allen Seiten diskreditiert – mit teils eigenwilligen Argumenten: Nach seinem ersten öffentlichen Auftritt als Parteichef dominierten Medienberichte über seinen schlechten Kleiderstil und seinen Vegetarismus. Wegen kritischer Äußerungen zum Irak-Einsatz wird dem langjährigen Pazifisten immer wieder von allen Seiten Nähe zu Terroristen unterstellt. Auch für Antisemitismus in seiner Partei wird er mitverantwortlich gemacht, weil er eine propalästinensische Haltung hat.

Der staatliche Sender BBC beschrieb Corbyn in einem Porträt als "eine Karikatur des archetypischen, bärtigen Linken", als ein Schlag Politiker, die längst "in die Mülltonnen der Geschichte gehörten". Mit solchen Äußerungen ist die BBC nicht allein: Eine Studie der London School of Economics and Political Science kritisiert, dass die britischen Medien in der Corbyn-Berichterstattung vom kritischen Beobachter zum Angreifer wurden. In Corbyns ersten Monat als Labour-Chef waren 57 Prozent der Berichte über ihn feindselig bis negativ und weniger als zehn Prozent positiv. Bedenklich waren insbesondere die Mittel der Diskreditierung: Knapp ein Drittel machten sich über ihn lustig, etwa mit albernen Spitznamen wie "Mr. Corbean" (in Anlehnung an die Witzfigur Mr. Bean).


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