Für Bewohner des Berliner Politik-Kosmos, die im Wochentakt neu über den Fortbestand der GroKo spekulieren, mag Libyen weit weg erscheinen. Aber mit dem Gipfeltreffen, bei dem Bundeskanzlerin Angela Merkel die am Konflikt beteiligten Akteure in Berlin versammelt, wird über die Zukunft des ölreichen Wüstenstaats nun auch in der deutschen Hauptstadt verhandelt. Neben Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch, Chef der international anerkannten Regierung, und General Chalifa Haftar, die in Libyen um die Macht konkurrieren, mischen eine ganze Reihe von Staaten mit ganz unterschiedlichen Interessen mit.
Deutschland hatte sich - wie viele europäische Staaten - nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi 2011 zunächst kaum in Libyen engagiert. Damit kann es sich jetzt leicht als ehrlicher, weitgehend neutraler Makler präsentieren. Ein russisch-türkischer Vermittlungsversuch endete kürzlich in Moskau ohne Ergebnis. Ziel der deutschen Außenpolitik ist es, Libyen zu einer Art Sperrriegel zu machen. Der soll verhindern, dass Schlepperboote in Richtung Europa aufbrechen. Und dass noch mehr Waffen in die Hände von Terrorgruppen gelangen, die aktuell mehrere Staaten Westafrikas destabilisieren.
Was es dafür braucht, ist eine libysche Regierung mit funktionierenden Institutionen, die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet hat. Davon ist man zur Zeit weit entfernt. Neben der Situation der Migranten, die von Menschenschmugglern und Milizen ausgebeutet und misshandelt werden, sieht die Bundesregierung die Stabilisierung Libyens auch durch die Anti-Terror-Brille. Denn rechtlose Räume in Libyen, die von islamistischen Terrorgruppen genutzt werden, gefährden etwa auch die junge Demokratie in Tunesien.
Ägypten ist als direkter Nachbar Libyens und mit einem der stärksten Militärs im Nahen Osten ein wichtiger Unterstützer Haftars. Die Beziehungen sind eng: Der General reiste mehrfach zu Treffen mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi nach Kairo. Ägypten will den Einfluss islamistischer Gruppen zurückdrängen, die in Libyen die Sarradsch-Regierung unterstützen. Außerdem ist es um die Sicherheit an der etwa 1200 Kilometer langen gemeinsamen Grenze besorgt. In der kargen Wüstengegend kam es mehrfach zu terroristischen Angriffen.
Für Putin steht viel auf dem Spiel
Auch die Vereinigten Arabischen Emirate wollen islamistische Gruppen eindämmen und setzen dabei in Libyen auf Haftar. Ohne emiratische Bombardements, Luftabwehrsysteme (aus russischer Herstellung) und ohne Angriffe mit Kampfdrohnen hätte Haftars selbst ernannte Libysche Nationalarmee (LNA) den Bürgerkrieg wohl schon verloren. Beim Krieg in Libyen sind die Emirate der wohl wichtigste Staat auf Haftars Seite.
Auch Saudi-Arabien soll Haftar gestärkt haben: Einem Bericht des "Wall Street Journal" zufolge soll das Königreich ihm "mehrere zehn Millionen Dollar" angeboten haben, um die Offensive auf Tripolis zu finanzieren. Kurz vor deren Beginn im April besuchte Haftar in Riad den saudischen König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman.
Für Russland, das ebenfalls Haftar stützt, steht viel auf dem Spiel in Berlin. Das Land hat eine Menge Energie und politisches Kapital in den Ring geworfen. Denn Kremlchef Wladimir Putin hat neben Merkel auch vielen anderen Politikern zugesagt, die Konferenz "mit allen Mitteln" zum Erfolg zu bringen. Bei einem Misserfolg könnte er an Glaubwürdigkeit auf der internationalen Bühne einbüßen.
Moskau will sich im Nahen Osten und in Afrika zu einer bestimmenden Macht entwickeln. In Libyen hat Russland gleichzeitig noch ganz andere Interessen: Russland will Experteneinschätzungen zufolge Energie-, Militär- und Infrastrukturverträge in Milliardenhöhe zurückgewinnen, die Moskau beim Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi 2011 entgangen sind. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie groß Russlands Einfluss auf Haftar in der Realität wirklich ist.
Trumps plötzlicher Meinungswechsel
Der Türkei geht es bei ihrer Unterstützung der Sarradsch-Regierung unter anderem um Interessen im Energiesektor. Die Türkei hat kaum eigene Energievorkommen. Ein neues Abkommen zu gemeinsamen Seegrenzen mit Libyen stoppt aus Sicht der Türkei Erdgas-Projekte anderer Mittelmeer-Anrainer, an denen sie zu ihrer Empörung nicht beteiligt wurde, und erlaubt ihr Zugang zu den Energiereserven.
Ankara wolle auch "den Einflussbereich von anderen, als Gegnern empfundenen regionalen Mächten zurückdrängen, die in Libyen aktiv sind", sagt der Leiter der Böll-Stiftung in Istanbul, Kristian Brakel: "den der Ägypter, der Saudis, vor allem der Emirate." Durch Libyen kann die Türkei, die zuletzt mit vielen Regierungen der Welt über Kreuz lag, zudem mit einigen wieder Gemeinsamkeiten finden. Die Türkei kann den Friedensstifter spielen - letztlich war es die Entsendung ihrer Soldaten, die die neuen Vermittlungsversuche erst mit ins Rollen gebracht hatten.
Die USA hatten sich unter Präsident Donald Trump - wie sein Vorgänger Barack Obama - zunächst hinter Al-Sarradsch gestellt. Überraschend telefonierte Trump im April dann aber mit Haftar und stärkte ihm den Rücken. Die US-Regierung will unter anderem die Ölproduktion Libyens am Laufen halten, und Haftar kontrolliert mit verbündeten Milizen die meisten Ölfelder im Land.
Auch Haftars Aussagen, das Land vom "Terrorismus" befreien zu wollen, kamen in Washington gut an. Trump hatte bald nach seinem Amtsantritt 2017 erklärt, keine Rolle der USA in Libyen zu sehen. Vielen Amerikanern ist der Angriff auf das US-Konsult in Bengasi, bei dem 2012 unter anderem Botschafter Christopher Stevens ums Leben kam, noch in dunkler Erinnerung. Dem wachsenden Einfluss Russlands im Land wollten die USA aber auch nicht kommentarlos zusehen und riefen Haftar im November dazu auf, den Angriff auf Tripolis zu beenden. Eine einheitliche Libyen-Strategie Trumps ist nicht zu erkennen.
Quelle: ntv.de, Johannes Schmitt-Tegge und Anne-Béatrice Clasmann, dpa
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