Studie: B.1.1.7 torpediert Herdenimmunität

  23 März 2021    Gelesen: 892
  Studie: B.1.1.7 torpediert Herdenimmunität

Die dritte Corona-Welle rollt über Europa hinweg. Durch Impfungen sollen die Menschen schnell immunisiert und so die Pandemie endlich aufgehalten werden. Doch eine neue Studie zeigt, die neuen Virusvarianten könnten den Traum von einer baldigen Herdenimmunität zunichtemachen.

"Impfen, Impfen, Impfen" - das ist nicht nur die Devise von Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern auch der Schlachtruf aller europäischen Länder im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie. Experten und Politiker sind sich inzwischen einig, dass die dritte Welle, die zurzeit über den Kontinent hereinbricht, nur durch harte Maßnahmen - und die Immunisierung der Bevölkerung aufzuhalten ist. Eine Herdenimmunität durchs Impfen könnte in der Europäischen Union sogar schon in wenigen Monaten erreicht werden, prognostizierte jüngst EU-Kommissar Thierry Breton: "Die Impfstoffe kommen, sie werden da sein."

Doch Forscher aus Großbritannien dämpfen nun den Optimismus mit einer neuen Studie. Ihren Berechnungen zufolge ist eine ausreichende Immunisierung der britischen Bevölkerung mithilfe der Corona-Impfstoffe kaum noch möglich. Das Land müsse weiterhin mit zahlreichen Neuinfektionen rechnen, sagen die Wissenschaftlerinnen der britischen Universität Warwick. Der Grund: Die Schwelle einer Herdenimmunität durch Impfungen liege höher als durch Erkrankungen. Denn die aktuelle Welle der B.1.1.7-Mutation durchseuche vor allem die bislang ungeimpften jüngeren Bevölkerungsgruppen rasant.

100.000 Tote bei Impfquote von 60 Prozent

In ihrem Modell gingen die Forscher von unterschiedlichen Infektionsdynamiken aus und berücksichtigten sowohl die Verbreitung der Impfungen in der Bevölkerung, als auch die unterschiedliche Wirksamkeit der Vakzine von Biontech/Pfizer und Astrazeneca. Doch in jedem Szenario - selbst bei einer Immunisierung 85 Prozent der Bürger - ist laut den Forschern der Anstieg der Infektionen allein durch Impfungen derzeit nicht aufzuhalten.

Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO gingen bislang davon aus, dass für eine Herdenimmunität 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft werden müssten. Vereinfacht gesagt, findet ein Erreger dann nicht mehr genug neue Wirte, die Pandemie kommt zum Erliegen. Eine Rückkehr zur Normalität ist möglich. Doch diese Zahlen sind laut den britischen Forscherinnen und Forschern nun hinfällig. Denn selbst bei einer Durchimpfung der Bevölkerung von 85 Prozent rechnen sie mit weiteren 21.400 Toten, wenn alle Corona-Maßnahmen fallen gelassen werden. Bei einem Infektionsschutz von 60 Prozent sind es laut Studie sogar fast 100.000 Tote.

Zudem warnen die Wissenschaftler: Sollten die Vakzine nicht schnell genug verteilt oder von der Bevölkerung angenommen werden, drohen weitere Viruswellen mit deutlich höheren Todeszahlen. "Selbst wenn alle Personen über 50 Jahren geimpft sind, sind immer noch starke Maßnahmen erforderlich, um Infektionsschübe zu vermeiden", schreiben die Studienautoren.

"Wenn wir AHAL-Regeln fallen lassen, sterben viele"

Ähnlich sieht das auch Gesundheitsexperte Karl Lauterbach: "Würden wir nach Impfung aller Impfwilligen alle AHAL-Regeln fallen lassen, sterben viele", schreibt der SPD-Politiker als Reaktion auf die Studie auf Twitter. Da ohne Corona-Maßnahmen die Virusvariante B.1.1.7 "voll durchliefe" in der Gruppe der Ungeimpften. "Selbst wenn das meist Jüngere/Menschen im mittleren Alter wären, wäre das Ergebnis verheerend", so Lauterbach. Das bedeute auch, dass je höher der Anteil der nicht geimpften Bürger sei, sich umso stärker alle anderen einschränken müssten, um weitere große Wellen zu verhindern. "Die meisten Geimpften werden zwar nicht schwer krank, aber viele doch."

Hinzu kommt eine weitere Gefahr: "Wenn man während des Impfens hohe Fallzahlen zulässt, riskiert man Fluchtmutationen mit hoher Resistenz gegen Impfstoffe", schreibt Lauterbach. "Das treibt die Schwelle zur Herdenimmunität hoch, vielleicht in unerreichbare Höhe." Unklar sei zudem, ob eine Herdenimmunität für Mutationsvarianten wie die britische Variante oder auch die brasilianische P.1 überhaupt erreichbar sei. Diese gelten als deutlich ansteckender und zum Teil sogar tödlicher.

In Großbritannien läuft die Impfkampagne derzeit auf Hochtouren: Mittlerweile haben dort mehr als 27 Millionen Menschen ihre Erstimpfung erhalten. Allerdings sind bislang nur rund zwei Millionen Bürger vollständig geimpft - das ist gerade einmal ein Bevölkerungsanteil von 3,2 Prozent. In Deutschland sind bislang nur etwa sieben Millionen Menschen erstmals immunisiert. Dafür haben mehr als 3,2 Millionen Deutsche bereits eine zweite Spritze erhalten - das sind fast vier Prozent der Gesamtbevölkerung. Dennoch: Beide Länder sind noch weit davon entfernt, einen Großteil ihrer Bürger durchgeimpft zu haben. Mit der neuen Studie dürfte das Ziel nun in noch weitere Ferne rücken.

Quelle: ntv.de


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