Während die europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) Sputnik V noch prüft, hat ihr brasilianisches Pendant Anvisa dem russischen Impfstoff die Zulassung jetzt verweigert. Die Behörde kritisiert nicht nur fehlende Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit des Vakzins, sondern stellt fest, dass Labore in jeder untersuchten Probe von Sputnik V vermehrungsfähige Viren gefunden hätten.
Anvisa-Leiter Gustavo Mendes sagte CNN Brasilien: "Der Impfstoff hat das Potenzial, ein genetisch verändertes Adenovirus zu erzeugen, dessen Reaktionen im menschlichen Körper und dessen potenziellen Risiken nicht bekannt sind. Wir haben Daten aus Russland analysiert und keine Studien gesehen, die die Sicherheit des Impfstoffs belegen. Das Vorsorgeprinzip hat uns dazu veranlasst, ihn nicht zu empfehlen."
Reproduktions-Gen wird entfernt
Sputnik V ist ein Astrazeneca ähnlicher Vektorimpfstoff. Das heißt, er basiert auf deaktivierten Viren, die als Vektoren bezeichnet werden. Ihnen wird DNA zugefügt, die dazu führt, dass Zellen eines geimpften Menschen das Stachel-Protein von Sars-CoV-2 produzieren, was im Körper dann die gewünschte Immunantwort auslöst.
Sputnik V wird in zwei verschiedenen Dosen im Abstand von drei Wochen verabreicht. Für die erste Dosis wird das Adenovirus (Ad26) verwendet, für die zweite das Adenovirus (Ad5). In beiden Fällen wird aus dem Erbgut der Vektoren das E1-Gen entfernt, das zur Vermehrung verantwortlich ist. Das führt dazu, dass das Adenovirus eine menschliche Zelle lediglich dazu bringen kann, das Stachel-Protein zu produzieren.
Da jeder Vektor nur einmal funktioniert, werden für einen Impfstoff sehr viele davon benötigt, um eine ausreichende Immunantwort zu erhalten. Um sie produzieren zu können, müssen die eigentlich deaktivierten Adenoviren aber in der Lage sein, sich zu vermehren. Dazu werden menschliche Zellen so manipuliert, dass sie das fehlende E1-Gen bilden. Die nicht veränderten Zellen einer geimpften Person können dies nicht, daher sollte in deren Körper das Adenovirus nicht replizieren können.
Was ist schiefgelaufen?
US-Virologin Angela Rasmussen schreibt auf Twitter, ein vom Genom entfernter Bereich komme nicht einfach wieder zurück. Sie vermutet, dass entweder bei der Produktion der Vektoren geschlampt und E1 nicht ordentlich entfernt wurde. Oder es habe sich bei der Herstellung mit einem Adenovirus in voller Länge rekombiniert.
Was mit einer Rekombination gemeint ist, erklärt Derek Lowe vom "Science Translational Magacine". Doppelsträngige DNA breche immer wieder mal, schreibt er. Solche Schäden würden dann normalerweise durch Reparaturprozesse repariert (homologe Rekombination, nicht homologe Endverknüpfung), "bei denen einiges schiefgehen kann." Unter anderem könne sich DNA aus verschiedenen Quellen vermischen.
Diesen Umstand macht man sich für die Genschere zunutze, um gewollte Genveränderungen zu erzielen. In diesem Fall sei es aber möglich, dass gelegentlich ein Viruspartikel die E1-Information von einer menschlichen Zelle erhält und so zum reproduzierenden Virus werde, vermutet Lowe.
Mangelnde Qualitätskontrolle?
Ein Artikel der Zeitung "denik.cz" lässt vermuten, dass es sich um Schlamperei handelt. Denn darin heißt es, die slowakische Arzneimittelbehörde habe in Proben von Sputnik V exakt jene für die Bereitstellung von E1 in der Produktion eingesetzten manipulierten menschlichen Zellen gefunden.
Angela Rasmussen kann außerdem nicht verstehen, wie ein Impfstoff mit vermehrungsfähigen Viren durch die Kontrolle kommen konnte, wenn diese wie üblich durchgeführt werde. Dafür bringe man das Vakzin auf Kulturen von Lungenzellen auf, die besonders anfällig für Adenoviren sind. Enthält ein aufgetragener Impfstoff replizierende Viren, könne man dies mit bloßem Auge an einem Fleck erkennen, der dadurch entstehe, dass sie Zellen töten (zytopathischer Effekt). Dies sei ein grundlegendes und unentschuldbares Versagen bei Qualitätssicherung und -kontrolle, schreibt sie.
Normalerweise ist das Adenovirus Ad5 für gesunde Menschen keine Gefahr, da es gewöhnlich nur eine Erkältung auslöst. "Aber die vermehrungsfähigen Viren könnten in Personen mit Immunschwäche Probleme bringen und auch in anderen Personen vermehrt zu Nebenwirkungen führen", schreibt Immunologe Carsten Watzl auf Twitter.
Verantwortliche sprechen von "Fake News"
Was genau das Problem ist, müssten die Sputnik-V-Verantwortlichen jetzt untersuchen und mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten. Der Impfstoff wurde vom Moskauer Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie entwickelt und vom Unternehmen Biocad hergestellt, das ebenfalls in der russischen Hauptstadt angesiedelt ist. Stattdessen nennen sie auf Twitter die Erkenntnisse der brasilianischen Gesundheitsbehörde "Fake News" und verweisen auf ein offizielles Statement, wonach E1 entfernt werde und strikte Qualitätskontrolle garantierten, dass Sputnik V keine vermehrungsfähigen Viren enthalte.
Weiter versuchen die Verantwortlichen darzustellen, Anvisa hätte sich korrigiert, indem die Behörde zugegeben habe, keine Proben des Impfstoffs selbst getestet zu haben. Das stimmt. Die Behörde verweist aber ausdrücklich darauf, dass die Daten von der zuständigen staatlichen Behörde für das Management von Arzneimitteln und biologischen Produkten (GGMED) stammen.
Und Anvisa schrieb gestern: "Laut GGMED wurden in allen Phasen klinischer Studien (Phasen 1, 2 und 3) Mängel in der Produktentwicklung festgestellt. Es gibt auch keine oder nur unzureichende Daten zu Qualitätskontrolle, Sicherheit und Wirksamkeit." Besonders besorgniserregend sei, dass die Auswertung der bisher verfügbaren Daten ergeben habe, "dass die Zellen, in denen die Adenoviren für die Entwicklung des Impfstoffs hergestellt werden, ihre Replikation ermöglichen".
Quelle: ntv.de
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