Beim "NSU 2.0" bleiben wichtige Fragen offen

  05 Mai 2021    Gelesen: 607
Beim "NSU 2.0" bleiben wichtige Fragen offen

Für den hessischen Innenminister ist nach der Festnahme eines Verdächtigen in Berlin klar: Seine Polizeibeamten sind im Fall der Drohschreiben des "NSU 2.0" entlastet. Doch für die Opposition in Hessen bleiben wichtige Fragen offen. Die Ermittler setzen ihre Arbeit fort.

Nach der Festnahme eines mutmaßlichen Haupttäters im Fall der rechtsextremen "NSU 2.0"-Drohschreiben dauern die Ermittlungen an. Viele Fragen sind weiter offen. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft will sich heute am frühen Nachmittag erneut zum Fall äußern. Am Montagabend war in Berlin ein 53 Jahre alter Mann festgenommen worden. Der arbeitslose Deutsche steht im dringenden Verdacht, seit August 2018 bundesweit eine Serie von Drohschreiben mit volksverhetzenden und beleidigenden Inhalten verschickt zu haben. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Unterzeichnet waren die Schreiben mit "NSU 2.0" in Anspielung an die Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Laut Ermittlern erscheint es naheliegend, dass sich der Mann am Telefon als Behördenmitarbeiter ausgab, um bei verschiedenen Polizeirevieren nicht öffentlich zugängliche Personendaten für die Drohschreiben zu erfragen. Wegen der Abfragen an den Polizeicomputern in Frankfurt, Wiesbaden und Berlin war die Polizei unter großen Druck geraten.

Empfänger der Drohschreiben waren überwiegend Personen des öffentlichen Lebens. Dazu zählten etwa die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die im Münchner Prozess um die NSU-Morde Opferfamilien vertreten hatte, die Kabarettistin Idil Baydar und die heutige Linkspartei-Chefin Janine Wissler. Auf die Spur des 53-Jährigen führten langwierige Ermittlungen. So nahmen die Fahnder rechtspopulistische Plattformen und Foren ins Visier. Dabei fiel ihnen ein User des Forums "PI-News" auf, dessen Beiträge in Form und Duktus den Drohschreiben ähnelten. Eine sprachwissenschaftliche Analyse des BKA habe den Verdacht erhärtet.

Spuren bei "PI-News" und Schachforum

Obwohl es der Absender der Drohschreiben auch mit Nutzung ausländischer Server verstanden hatte, seine Spuren zu verschleiern, spielte laut Ermittlern ein Benutzerprofil auf einer Schachplattform eine wichtige Rolle. Es habe ein namensgleiches Profil bei "PI-News" gegeben, dessen Nutzer dieselbe Comicfigur als Profilbild verwendete. Aufgrund der gleichen IP-Adresse sowie wortgleicher Beleidigungen im Chat der Schachplattform konnten den Angaben zufolge weitere Profile ermittelt werden. Auch einen Berlinbezug leiteten die Ermittler aus den Kommentaren ab.

Anfragen bei dem Betreiber der Schachplattform und bei Kommunikationsanbietern hätten schließlich zur Identifizierung des nun festgenommenen Mannes geführt. Der 53-Jährige wird nach Angaben der Ermittler verdächtigt, schon vor Beginn der "NSU 2.0"-Serie im Jahr 2017 einen Rechtsanwalt in Würzburg telefonisch bedroht zu haben. "Hintergrund für die Bedrohung dürfte die Vertretung eines syrischen Flüchtlings durch diesen Rechtsanwalt gewesen sein", berichteten die Ermittler. Dessen Mandant sei nach einem "medienwirksamen Selfie" mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Flüchtlingsheim im Jahr 2015 angefeindet worden.

Innenminister Beuth sieht nach bisherigen Erkenntnissen die hessische Polizei entlastet. "Die Drohschreiben hatten einen sehr schwerwiegenden Verdacht auf die Polizei gelenkt", erklärte er. "Nach allem, was wir heute wissen, war nie ein hessischer Polizist für die 'NSU 2.0'-Drohmailserie verantwortlich." Eine Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft sagte, die Ermittlungen zu den illegalen Datenabfragen an hessischen Polizeicomputern gingen weiter. Ein Bezug des Mannes zu Hessen sei derzeit nicht bekannt.

Vorstrafe wegen Amtsanmaßung

Die Ermittlungen zu den Abfragen besonders geschützter persönlicher Daten von Polizeicomputern aus, hatten unter anderem rechtsextreme Äußerungen von hessischen Beamten in Chatgruppen zutage befördert. Die Opposition im hessischen Landtag hält den Fall mit der Festnahme in Berlin längst noch nicht für aufgeklärt. "Solange mögliche Verbindungen zwischen dem mutmaßlichen Täter und potenziellen Helfern innerhalb von Polizeibehörden nicht ausermittelt sind, ist der Komplex "NSU 2.0" nicht abgeschlossen", sagt der parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Landtag, Günter Rudolph, der "Frankfurter Rundschau". Auch die FDP und die Linke mahnten, die Aufklärung fortzusetzen. Es sei noch nicht klar, ob es sich um einen Einzeltäter handle.

Der Verdächtige war den Ermittlern zufolge bereits in der Vergangenheit wegen zahlreicher - unter anderem auch rechtsmotivierter - Straftaten aufgefallen. 1992 habe er sich als Kriminalpolizist ausgegeben, weshalb er später wegen Amtsanmaßung verurteilt worden sei. Gegen ihn wird nun unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der Bedrohung sowie der Beleidigung ermittelt.

Quelle: ntv.de, mbo/dpa


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