Rad-Star Bernal schickt Hilferuf vom Giro

  18 Mai 2021    Gelesen: 1284
  Rad-Star Bernal schickt Hilferuf vom Giro

In Kolumbien ist Radsport ein großes Thema, doch die Gesamtführung von Egan Bernal beim Giro d'Italia scheint dort zur Nebensache zu verkommen. Der 24-Jährige ist in großer Sorge um seine Heimat und äußert das in einer Nachricht sehr deutlich.

Egan Bernal öffnete sein Herz und sprach warme Worte der Anerkennung. "Nervös" sei er, gestand Bernal, als er nach der so selbstbewussten Fahrt ins Rosa Trikot des Giro d'Italia vor den Teamkollegen und Betreuern eine Dankesrede hielt. Den richtigen Ton traf der schüchterne Kolumbianer dennoch. "Es waren zwei harte Jahre seit dem Toursieg", sagte Bernal, "es ist unglaublich, wieder in dieser Position zu sein. Lasst uns fokussiert bleiben."

Erstmals in seiner Karriere war der 24-Jährige kurz zuvor ins Maglia Rosa gestürmt. Mit einem beeindruckenden Angriff im Gravel-Finale der 158 Kilometer langen neunten Etappe in Campo Felice übernahm der Kapitän des Teams Ineos-Grenadiers die Gesamtführung. Tränen flossen nach seinem ersten Tageserfolg bei einer großen Landesrundfahrt. Am Montag verteidigte er seine Führung auf der 139 Kilometer langen zehnten Etappe nach Foligno erfolgreich.

Bernals emotionale Reaktion hatte Gründe. Hinter dem Ausnahmetalent liegt eine schwierige Phase. Es ist die Geschichte von Rückschlägen, denen ein steiler Aufstieg vorausgegangen war. 2019 startete Bernal als Co-Kapitän des damaligen Tour-Titelverteidigers Geraint Thomas bei der Frankreich-Rundfahrt. Drei Wochen später war er als erster Lateinamerikaner Tour-Sieger. Aus Egan Bernal wurde der "Wunderknabe aus Zipaquira", wie ihn Kolumbiens wichtigste Tageszeitung El Tiempo in einer Sonderausgabe nannte. Präsident Ivan Duque erklärte ihn zu einem "Titanen und wahrhaften Helden".

Mehr als 40 Tote und 1500 Verletzte

Ein Jahr später jubelte niemand mehr. Bernal zeigte bei der Tour 2020 kaum gekannte Schwächen. Anhaltende Rückenprobleme machten die erfolgreiche Titelverteidigung unmöglich. Bernal stieg noch vor dem Finale in Paris aus. Nun trägt er wieder ein Führungstrikot, dieses Mal ist es Rosa statt Gelb. Bis zum Finale in Mailand am 30. Mai will er es nicht mehr hergeben. Der Stolz seiner Landsleute wäre ähnlich groß wie damals. Der Radsport genießt in Kolumbien einen hohen Stellenwert, Fahrer wie Bernal, Nairo Quintana oder Rigoberto Uran prägen seit Jahren die großen Rundfahrten. Volksfeststimmung wird in seiner Heimat aber wohl auch beim Giro-Sieg nicht ausbrechen.

Die Zeiten haben sich geändert - und Bernal ist in Sorge. "SOS Colombia" schrieb er kürzlich in einem emotionalen Beitrag auf Instagram, in dem er die Missstände in seinem Land anprangerte. Die teils extreme Armut, die Gewalt, die Mängel im Gesundheits- und Bildungssystem, die Unterdrückung durch den Staat - Bernal ließ kaum eine gesellschaftliche Baustelle unerwähnt. Seit Ende April gehen Tausende Kolumbianer aus Wut über die Gesundheits-, Sicherheits- und Bildungspolitik der Regierung auf die Straße. Ausgelöst wurden die Proteste von Plänen für eine Steuerreform, die besonders die Mittelschicht hart getroffen hätte. Die Steuerreform wurde inzwischen zurückgezogen.

Bei den Polizeieinsätzen gegen die Kundgebungen starben nach offiziellen Angaben mindestens 42 Menschen, darunter ein Polizist. Mehr als 1500 weitere Menschen erlitten demnach Verletzungen. Nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen gab es noch mehr Opfer. SOS Colombia. "Was mich am meisten schockiert, sind die Toten und die verschiedenen Misshandlungen der Obrigkeit gegen die Protestierenden", so Bernal, der mit Blick auf die Steuerpläne von einem "Ausquetschen" der Bevölkerung sprach. An Staatschef Duque, gegen dessen Regierung sich die anhaltenden Proteste inzwischen allgemein richten, wandte sich Bernal persönlich: "Ich hoffe, dass er eine Lösung für all das Chaos findet. Bevor das Land weiter leidet."

Quelle: ntv.de, tsi/sid


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