"Benotete Aufsätze haben sich praktisch erledigt"

  15 Mai 2018    Gelesen: 1095
"Benotete Aufsätze haben sich praktisch erledigt"

Google übersetzt Texte in Sekundenschnelle - und die Ergebnisse werden immer besser, stellt Französisch- und Spanischlehrer Jost Fromhage fest. Wie soll er jetzt noch Hausaufgaben benoten?

 

Ford Perfect brauchte für seine Reise als Anhalter durch die Galaxis keine Vokabeln zu lernen. Im gleichnamigen Kultroman von Douglas Adams tragen nämlich alle Bewohner einen kleinen Babelfisch im Ohr, der alle Sprachen des Universums in die Sprache des Wirts übersetzt.


Der französische Text, den ich nun korrigieren und benoten soll, wirkt, als hätte ihn mir der Babelfisch direkt aufs Blatt gespuckt. Niemals hat die Schülerin, deren Namen unter dem Text steht, diesen selbst geschrieben.

Nahezu perfekt

Computerübersetzungen sind eigentlich nichts Neues. Aber bisher kam da immer nur Kauderwelsch heraus. Nicht aber dieses Mal: Die äußerst umfangreiche Geschichte kommt in nahezu perfektem Französisch daher. Wären da nicht doch in dem ein oder anderen Satz diese typischen Sinnentstellungen.

Die falsch verwendeten Teekesselchen entlarven den Algorithmus dahinter:

"Er lag in seinem Bett. Das Telefon klingelte. Trotzdem wollte er nicht abnehmen." 


Aus dem letzten Satz wird: "Il ne voulait pas perdre du poids." Also: "Er wollte kein Gewicht verlieren."

Nicht mehr lange und Google kommt auch damit zurecht.

Unerlaubte Hilfe bei den Hausaufgaben gab es schon immer. Mal von der großen Schwester, der Oma aus Frankreich oder einer Webseite, von der ein Absatz kopiert wurde. Solche Einzelfälle ließen sich bisher mit strengen Blicken, Plagiatsfindern oder Schreibproben aufdecken. Aber nun steht jedem Schüler ein Werkzeug zur Verfügung, was von Afrikaans bis Zulu Texte einer Qualität produzieren kann, die er oder sie womöglich nie erreichen wird.

Brauchen wir noch Fremdsprachen?

Benotete Aufsätze als Hausaufgaben haben sich damit praktisch erledigt. Denn wie soll ich herausfinden, wer sich extrem viel Mühe gibt, wer dummdreist betrügt und wer nur hier und da ein bisschen schummelt?

Und diese neue Form von Plagiat kratzt nur an der Oberfläche einer viel weiter reichenden Frage: Wozu müssen Schüler überhaupt noch Fremdsprachen können, wenn es eine Maschine gibt, die diesen Job für sie übernimmt? Es dauert Jahre, bis jemand einen halbwegs lesbaren Aufsatz in einer Fremdsprache zu Papier bringt - Google braucht dafür den Bruchteil einer Sekunde.

Haben uns Maschinen nicht schon überall dort ersetzt, wo sie schneller, billiger und besser sind? Auf dem Feld, am Fließband, beim Fahrkartenkauf? Für 90 Prozent aller Anwendungsfälle reicht Google aus: Für die Beschwerde bei der Fluggesellschaft, für das Entziffern von Zeitungsartikeln und vielleicht sogar für eine E-Mail an einen Kunden.

Was aber ist mit Verträgen, Gesetzen und schwierigen Verhandlungen? Können wir die Verantwortung einfach abgeben, wenn es auf den genauen Wortlaut ankommt? Oder übernehmen diese Fälle dann doch noch ein paar Spezialisten und die anderen kommen mit Google aus?

Ein Knopf im Ohr

In den Stundentafeln der Schule würde jedenfalls jede Menge Platz geschaffen für all die neuen Dinge, die wir wissen müssen.

Aber so einfach ist es mit dem Schreiben von Texten nicht. Denn Schreiben dient auch der Vorbereitung für das Sprechen. Nur so kann die Systematik einer Fremdsprache erlernt werden. Allein Zuhören und Nachplappern - das klappt nur in der Muttersprache.

Und wenn wir uns international verständigen wollen, kommen wir ums Sprechen nicht herum. Wer das Sprachenlernen als Kind nicht geübt hat, wird nie in einem anderen Land richtig ankommen. Einwanderer mit wenig Schulbildung beherrschen auch nach Jahrzehnten die Landessprache oft noch schlecht.

Selbst wenn Google den Babelfisch fürs Ohr irgendwann entwickelt, kann der nur eine Übergangslösung sein. Ich stelle mir das wie damals bei "Wetten, dass..?" vor, bei den Gästen mit dem Knopf im Ohr, eben nur den ganzen Tag lang. Das nervt doch schon nach wenigen Minuten.

Eine Übersetzung ist immer ein verblasstes Abbild

Eine Maschine wird vermutlich nie alle Nuancen von Sprache begreifen, den Geruch, den wir mit frischen Brötchen in Verbindung bringen, die Geborgenheit bei dem Wort Mama oder was an dem Wort "Maschendrahtzaun" komisch sein soll. Eine Übersetzung an sich ist immer schon ein verblasstes Abbild. Jeder, der "The Big Bang Theory" schon einmal auf Englisch gesehen hat, weiß das.

Aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren: Sobald Google es schafft, irgendwo auf der Welt ein Kind mit einer Übersetzung des folgenden Abschnitts zum Lachen zu bringen, nehme ich als Lehrer meinen Hut:

Am Sonntag Sonne, am Montag Herr Mon, am Dienstag Dienst, am Mittwoch Wochenmitte, am Donnerstag Donner, am Freitag frei - und heute war Samstag. Am Samstag Sams! Das war's! - "Du bist bestimmt ein Sams!", sagte er [Herr Taschenbier] entschieden.
An eine Übersetzung von Paul Maars "Eine Woche voller Samstage" haben sich bisher nur wenige ausländische Verlage getraut. "Unübersetzbar", so die Begründung.


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