Tesla Model 3 Facelift - kaum zu erkennen

  27 Dezember 2023    Gelesen: 736
  Tesla Model 3 Facelift - kaum zu erkennen

Sanfte Retuschen sollen genügen, um die Model-3-Verkäufe flott zu halten. Der Teufel steckt aber im Detail. ntv.de hat die modifizierte Tesla-Mittelklasse auf Herz und Nieren getestet. Ihr Grundcharakter hat sich kaum verändert.

Kennen Sie auch den Handwerker im Dorf, der sein neues Auto immer in der gleichen Farbe bestellt, in der auch der Vorgänger lackiert war? Schließlich soll bloß kein potenzieller Kunde merken, dass man ein neues Auto hat. Neiddebatte und so. Wer so tickt, dürfte seine helle Freude an Tesla haben. Denn der US-amerikanische Autohersteller hält nichts von allzu großen Änderungen im Design. Sechs Jahre ist das Model 3 jetzt am Markt, Zeit für eine neue Ausbaustufe. Da steht es nun vor mir - und sieht eigentlich (fast) aus wie immer. Ist das wirklich der Neue? Ich muss sehr genau hinsehen.

An den im Vergleich zum Vorgänger schmaleren LED-Scheinwerfern erkennt man den neuen Jahrgang dann doch. Und an kleinen Details. Steigt man abends in das Model 3, sorgt sanftes Ambientelicht für eine gemütliche Stimmung. Unabhängig von der Tageszeit hingegen merkt man, dass der Blinker jetzt am Lenkrad (wie bei den Updates der Models S und X) bedient wird und nicht mehr per Lenksäulenhebel. Ist das fein? Geht so. Es ist nicht so, dass man sich daran nicht gewöhnen könnte. Aber die Mikroschalter-Tasten (weder klassische Drucktasten noch Touchflächen) geben keine ordentliche Rückmeldung. Und so muss man häufig mehrfach drücken.

Auf unkonventionelle Bedienung stößt man übrigens schon vor dem Losfahren. Denn die Fahrstufen werden auf dem jetzt minimal größeren Display (15,4 statt 15 Zoll) eingelegt - klar, die Lenksäulenbedienung fällt ja gänzlich weg. Dafür sitzt es sich auf den neuen Sesseln mit Ventilation recht bequem. Sie sprechen gemeinsam mit dem nach wie vor geräumigen Platzangebot für das Abspulen längerer Strecken. Nur fürs Protokoll: Das aktuelle Model 3 ist zwei Zentimeter länger (4,72 Meter) und mit 2,88 Metern radstandgleich. Nach wie vor genug Abstand zwischen den Achsen, um im Fond ordentlich Freiraum für die Beine zu schaffen. Darüber hinaus bekommen die Fondgäste ein bisschen Infotainment: Auf einem kleinen Bildschirm (acht Zoll) kann der Reisende nicht nur Änderungen an der Klimaanlage vornehmen, sondern auch allgemeine Einstellungen.

Das Model 3 "Maximale Reichweite" beschleunigt biestig

Vorn links (und rechts ebenso) kann man über Platzprobleme allerdings auch nicht gerade klagen. Aber die Neugierde auf das Fahren überstrahlt erst einmal sowieso alles andere. Ohne einen kleinen Exkurs geht es jedoch kaum: Bei Tesla funktioniert die Annäherung an das richtige Modell ein bisschen anders als bei eigentlich allen anderen Marken. Angaben zur Leistung macht der Hersteller bloß bei den 1020 PS starken Plaid-Modellen öffentlich. Wer also sein ziviles Model 3 auf der Tesla-Website bestellt, kann zwischen "Model 3" zu 42.990 oder "Model 3 Maximale Reichweite" zu 51.990 Euro wählen.

Man erfährt gerade noch, dass es sich bei der teureren Variante um jene mit Allradantrieb handelt. Gut zu wissen. Und dass sie in der Lage sein soll, binnen 4,4 Sekunden auf 100 km/h zu beschleunigen. Hui, da muss ja ordentlich Power im Spiel sein. Um genau zu sein, 498 PS sowie 560 Newtonmeter Drehmoment - die Leistung muss man lange suchen auf der Webpräsenz, das Drehmoment ist hingegen lediglich der Sekundärliteratur zu entlocken. Dafür geizt Tesla neuerdings bei der Höchstgeschwindigkeit und begrenzt bei 201 km/h wegen rollwiderstandsoptimierter Reifen. Wen das wurmt, muss sich noch etwas gedulden. Seit wenigen Wochen geistert in den Medien herum, dass nächstes Jahr wieder eine Performance-Variante folgen soll, die sicherlich schneller fährt.

Tesla hat für Testfahrten natürlich die stärkere zur Verfügung gestellt. Damit punktet der Hersteller bei Menschen, die Fahrdynamik mögen. Klar, wer jetzt vom Durchschnittsdiesel auf Model 3 Allrad umstellt, wird sich ganz schön wundern. Bis zur begrenzten Höchstgeschwindigkeit operiert die Limousine fast auf Supersportwagen-Level, das kann man nicht anders sagen. Und im Gegensatz zu den leistungsstarken Topmodellen hält das starke Model 3 die Power, die es verspricht - nahezu ohne Leistungsschwund.

In diesen Dimensionen klappt alles fein mit der Kühlperformance. Außerdem beschleunigt und läuft der Tesla nicht nur sauber geradeaus, sondern absolviert zügige Kurvenfahrten sicher. Und absorbiert Bodenwellen wirkungsvoll - jetzt ein bisschen ausgewogener als früher. Hier haben die Fahrwerker ein bisschen in Richtung Komfort justiert und wirklich einen ganz guten Job gemacht. Kritikpunkt? Na klar, die Lenkung arbeitet einen Zacken zu synthetisch. Aber ganz ehrlich, das interessiert den Umsteiger von Volkswagen und Co. jetzt vielleicht auch nicht über Gebühr. Der schaut nämlich vor allem auf die 629 Kilometer WLTP-Nominalreichweite.

Der Mittelklasse-Tesla ist effizient und lädt nicht langsam

Bei diesem Kapitel wird es übrigens interessant. Ja, das Model 3 ist effizient (die Techniker haben seine Aerodynamik ein bisschen verbessert) und fährt tatsächlich recht weit. Aber wie schnell gewinnt der Allradler wieder an Reichweite? Die Website verspricht bis zu 282 Kilometer innerhalb von 15 Minuten. Tatsächlich hat das Testexemplar bei kühlen Temperaturen von unter zehn Grad Celsius zügig geladen und binnen 20 Minuten immerhin 273 Kilometer gewonnen.

Wissen muss man aber auch, dass diese Ladetempi nur bei niedrigen Ladeständen erreicht werden. Nähert sich der sogenannte State of Charge der 50-Prozent-Marke, verlangsamt sich das Ladegeschehen drastisch. Bei 60 Prozent Füllstand fällt die Ladeleistung häufig auf unter 100 Kilowatt. Die maximal mögliche Peak-Ladeleistung von 250 Kilowatt hält das Model 3 nicht lange. Sicherlich auch eine Maßnahme, um den Akku zu schonen, der in diesem Fall übrigens 77 kWh (netto) Strom speichert. Auch so ein Wert, den man im Netz erst mühsam suchen muss. Immerhin nennt das Werk schlanke 14 kWh WLTP-Verbrauch, der bei moderater Fahrt nicht unrealistisch ist. Tesla arbeitet mit einer Mischmotorisierung und setzt an der Hinterachse einen äußerst effizienten permanenterregten Synchronmotor ein. Vorn arbeitet eine zwar weniger effiziente Asynchronmaschine, die bei heruntergefahrener Last jedoch nicht ganz so hohe Schleppmomente erzeugt.

Für ein recht üppig ausgestattetes Mittelklassefahrzeug mit zwei Elektroaggregaten und properem Stromspeicher kann sich der Tesla auf der Waage sehen lassen mit gerade einmal 1,8 Tonnen. Und das bei verbesserter Crash-Struktur. Tesla ist stolz darauf, in der Sicherheitsbewertung des Euro-NCAP fünf Sterne zu erhalten. Wer in diesem Kontext befürchtet, nervige Pieptöne nur mühevoll ausschalten zu können (das Gremium schaut auf solche Dinge), irrt. Für das Ausschalten der akustischen Tempowarnung reicht ein kurzer Tipper auf das kleine "x" neben der Tempolimitanzeige - fertig.

Tesla-Neulinge müssen über verschiedene Modi wie Hunde-, Camp- oder Wächtereinstellung schmunzeln. Die ersten beiden Gimmicks halten die Innenraumtemperatur lebewesenfreundlich, ob man tagsüber den Vierbeiner im Auto lässt oder sogar selbst im Wagen übernachtet. In diesem Fall kann man auch ein virtuelles Kaminfeuer auf den Bildschirm zaubern. Der Wächtermodus nimmt per Kamera auf, falls sich jemand unbefugt am Model 3 zu schaffen macht.

Eine umfangreiche Akustikverglasung für einen leiseren Innenraum, verschiedene neue Games, verbesserte Hifi-Komponenten sowie die erstmals lieferbaren Farbtöne "Stealth Grey" und "Ultra Red" sind ebenfalls Merkmale der jüngsten Ausbaustufe. Die neuen Lackierungen (2000 Euro Aufpreis) sind jedoch ähnlich unauffällig wie jeder andere Tesla-Lack auch und rangieren quasi unterhalb der Wahrnehmungsschwelle von Kunden und Nachbarn.

Fazit: Das runderneuerte Tesla Model 3 erschließt sich äußerlich wirklich nur Kennern auf den ersten Blick. Ein bisschen Neues gibt es unter dem Blech durchaus, aber der Grundcharakter bleibt erhalten. Man kann Tesla langweilig und Elon Musk verrückt finden - so manche Stärke ist der Mittelklasse allerdings kaum abzusprechen. Dazu gehört beispielsweise ihre Effizienz. Und auch der Einstiegspreis ist angesichts des Gebotenen gar nicht unattraktiv. Überdies lockt das Modell mit einer für ein US-Car ganz annehmbaren Materialverarbeitung sowie vier Jahren Garantie. Auf die Antriebskomponenten plus Batterie gewährt Tesla gar acht Jahre Garantie (160.000 Kilometer). Ob das Model 3 ein Topseller wird, muss man sehen. Dieses Jahr haben sich die Leute eher auf das Model Y gestürzt. Und die neue Mittelklasse ist ja erst seit Herbst verfügbar. Außerdem haben andere Marken schließlich auch schöne Autos.

Quelle: ntv.de


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