Beglaubigt werden vorbildlich hergestellte Produkte durch Standards – gesundheitliche, ökologische und ethische. Private Verbände, Unternehmen, auch staatliche Organisationen sorgen damit für eine Art Minima Moralia auf den Weltmärkten. Aber wem nutzen diese Standards wirklich? Dieser Frage geht eine neue Studie der Entwicklungsexperten Rudolf Buntzel und Francisco Marí nach. Gefördert wurde sie von "Brot für die Welt".
Normalerweise bekümmert das Thema verunsicherte Verbraucher in den Industrieländern. Das Gestrüpp der Standards ist ja auch undurchsichtig geworden; all die Zertifikate, Siegel, Labels und Business-to-Business-Regeln, die Firmen einander in globalen Wertschöpfungsketten abverlangen. 441 Initiativen für eigene Standards hat die Europäische Union allein für Agrar- und Lebensmittel registriert. Wer soll da noch kapieren, was all die Großbuchstaben versprechen und ob sie es auch einhalten: von RSPO, MST, UTZ, BCI oder CMiA bis zu RFA, Global G.A.P., GAFTA und GACP-MAP.
Dieses Durch- und Nebeneinander prangert auch die Studie an. Aber sie nimmt dabei die Perspektive der Bauern, Straßenhändler und Konsumenten in den Herkunftsländern ein. Das Resümee ist provokant: "Gutes Essen – arme Erzeuger". Höchst unfreiwillig würden kritische Verbraucher zu Verbündeten einer Ernährungswirtschaft, die "mit Standards die Nahrungsmärkte beherrscht". Und die dabei Armut nur punktuell beseitige, argumentieren die Autoren.
Damit fällen sie kein Pauschalurteil. Besonders den Bio- und Fairtrade-Siegeln, aber auch anderen Regelsystemen bescheinigen Buntzel und Marí "einen positiven Einfluss auf die Produktionsweisen des Agrobusiness". Doch je mehr globale Handelsketten und Supermarktriesen mit eigenen Herstellungen ihre Rohstoffgrundlagen in Entwicklungsländern sichern und sich zugleich als nachhaltig profilieren wollen, desto mehr Marktmacht üben sie dort auch mithilfe ihrer Standards aus. Diese spalten die Welt auf neue Weise in die alte Nord-Süd-Rollenverteilung. Hier die Standardsetzer, dort die Standardnehmer.
Vor allem die Bauern bekommen vorgeschrieben, nach welchen Regeln sie zu produzieren haben – und das bedeutet auch: wofür sie haften, wenn es Probleme gibt. Mit den Standards wird das Risiko auf diese Weise verlagert – nach unten. Supermarktketten setzen Nahrungsmittelkonzerne unter Druck, diese ihre Rohstoffhändler, diese die Erzeuger. Schon heute sind Kleinbauern von den Regeln der Reichen oft überfordert; besonders, wenn sie sich nicht von einem einzigen Abnehmer abhängig machen wollen. Zwischen den laufend wechselnden Wünschen unterschiedlicher Ketten müssen sie sich ständig umorientieren. Jedes Label hat seine eigenen Anforderungslisten, Dokumentations- und Abrechnungssysteme. Laboranalysen für die Lizenz kosten hohe Gebühren.
Das alles lohnt sich nur, wenn man ausreichende Mengen liefern kann. Die Folge: Standards begünstigen jene Erzeuger, die ohnehin schon besser dran sind, weil sie über mehr Bildung und Land verfügen. Ein Zertifizierer drückte es bei einer Versammlung von Mitgliedern des weitverbreiteten Global-G.A.P.-Standards so aus: "Was machen wir hier? Wir wählen die Sieger aus." Aber was ist mit den Verlierern?
Die Autoren weisen nach, dass hohe Standards deren Lage oft doppelt erschweren. So können die geschlossenen Lieferketten der Supermärkte auch die lokalen Großhändler schwächen und damit alternative Abnehmer. Informelle Märkte werden auch entwicklungspolitisch vernachlässigt. Dabei ernähren gerade sie in vielen Ländern die große Mehrheit der Menschen. Am Ende leiden nicht nur arme Erzeuger unter den Standards, sondern auch arme Verbraucher.
Buntzel und Marí wollen das janusköpfig gewordene Instrument retten und verbessern. Staaten müssten Mindestansprüche für die privaten Zertifizierungssysteme festlegen, fordern sie. Zuerst national: Ein Schritt in die richtige Richtung könnten die nationalen Siegel werden, um die sich der deutsche Agrarminister gerade beim Palmöl und der Entwicklungsminister bei Textilien bemühen. Am Ende aber global: Nötig seien weltweite "Standards für Standards".
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