Kim Jong-un treibt ein gefährliches Spiel mit dem Feuer

  11 Juni 2016    Gelesen: 1104
Kim Jong-un treibt ein gefährliches Spiel mit dem Feuer
Früher schien das Atomprogramm von Nordkorea berechenbar. Unter Kim Jong-un ist es kaum zu kontrollieren - die Waffe ist das einzige, was ihm bleibt. Die Geschichte einer gefährlichen Eskalation.

Der junge Diktator lässt sich nicht bremsen. Sein Großvater ließ nur forschen, sein Vater testete die ersten Nuklearwaffen. Doch Kim Jong-un schafft Fakten: Nordkorea beschleunigt offenbar gerade die Expansion seines Atombombenarsenals.

Experten schätzen, dass er schon jetzt etwa zwanzig Bomben besitzt. Und jedes Jahr kommen mindestens acht neue dazu. In dieser Woche wurde bekannt, dass Pjöngjang weiter Plutonium produziert: Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) meldete besorgt, dass der stillgelegte Reaktor in Yongbyon reaktiviert zu sein scheint.

"Militär zuerst"

Genau hier, keine 100 Kilometer außerhalb von Pjöngjang, hatte Nordkoreas Atomprogramm seinen Anfang genommen – schon vor 50 Jahren. Damals hatte Kims Großvater Il-sung in Yongbyon mit sowjetischer Hilfe sein erstes Kernforschungslabor erbaut. Zunächst experimentierte Pjöngjang, um bei der allgemeinen Aufrüstung mithalten zu können, doch dann geschah etwas Einschneidendes: Die Sowjetunion, sein engster ideologischer Verbündeter, Beschützer und Geldgeber, brach zusammen. Und plötzlich stand Pjöngjang 1991 allein da.

China füllte die Lücke, aber Peking stand nie so uneingeschränkt hinter Nordkorea, wie Moskau dies getan hatte. Und so, ohne die schützende Hand der Supermacht, brauchte das Kim-Regime plötzlich eigene Abschreckungswaffen.

Dann starb 1994 auch noch der wie ein Gott angebetete Staatsgründer Kim Il-sung, und die schlimmste Dürrekatastrophe aller Zeiten brach über das Land herein. Schätzungen zufolge verhungerten in den 90er-Jahren bis zu 2,5 Millionen Menschen – und der neue "geliebte Führer" Kim Jong-il hatte alle Hände voll zu tun, das Volk loyal zu halten, ohne es ernähren zu können. So erfand er die "Songun"-Doktrin, was so viel heißt wie "Militär zuerst".

Erzfeind Amerika

Ein geschickter Schachzug. Mit dieser Doktrin konnte Kim Jong-il rechtfertigen, warum das Land trotz bitterer Not all sein Geld für die Aufrüstung ausgab. Das Volk hungerte, um seinen Staat starkzumachen. Notwendiger Bestandteil dieser Doktrin ist ein Erzfeind, eine ständige Bedrohung von außen, und diese Rolle wurde Amerika zugewiesen.

Die Menschen mussten überzeugt werden, dass die herrschende Armee ihre einzige Rettung sei und nicht wirtschaftliche oder gar ideologische Öffnung, nicht soziale Umwälzungen. So blieb das Regime an der Macht. Eine absurde Logik, ein massiver Propagandaaufwand, aber es funktioniert seit 22 Jahren.
Um die Show aufrechtzuerhalten und das Volk in Sicherheit zu wiegen, damit es nicht aufbegehrt, braucht die Kim-Dynastie die mächtigste Waffe der Welt. Heute mehr denn je, da der neue Mann an der Spitze lange nicht so gefestigt im Sattel sitzt wie noch sein Vater und Großvater. Deshalb wird Kim Jong-un seine Atomwaffen nicht aufgeben.

Schon gar nicht durch Verhandlungen, meint Nordkorea-Experte Michael Raska von der S. Rajaratnam School of International Studies in Singapur, "es sei denn, diese Verhandlungen beinhalten den Abzug amerikanischer Truppen aus Südkorea und das De-facto-Ende der US-südkoreanischen Allianz". Und das ist nicht absehbar.

Der "Vater der Bombe"

Nordkoreas Bombe wurde überhaupt nur deshalb möglich, weil andere, mächtigere Staaten die Kims machen ließen. Zuerst war es der Kalte Krieg. Die Sowjets und Chinesen hatten sich im Koreakrieg auf Pjöngjangs Seite geschlagen und halfen dem kommunistischen Staat bei allem, was gegen die USA genutzt werden konnte. Daher ihre Unterstützung der frühen Kernforschung Kim Il-sungs.

Dann kam Pakistan mit seinen atomaren Ambitionen, allen voran der "Vater der Bombe" Abdul Kadir Khan. "Pakistan und Nordkorea waren in ihrer Atom- und Raketensymbiose wie füreinander geschaffen", erklärt Verteidigungsexperte Raska, "beide Regimes wurden von Armeen geführt, beide teilten die Paranoia über ihre jeweiligen Bedrohungen von außen". So lieferte der teilweise in Deutschland ausgebildete Wissenschaftler Khan Pjöngjang über die Jahre alles Material und sämtliche technischen Geheimnisse, die sie für ihre Bomben brauchten.

China ließ Pakistan gewähren, denn sie brauchten das Land als Gegengewicht zu Indien in der Region. Die USA ließen Islamabad freie Hand, denn das südasiatische Land war, ähnlich wie die Mudschahedin in Afghanistan, wichtig im Kampf gegen die Sowjets.

Die niederländischen Behörden, so schreibt Paul Joseph Watson auf der amerikanischen Informationsplattform infowars.com waren seit den 70er-Jahren misstrauisch und verfolgen Khans Aktivitäten. Doch die CIA schützte den Mann, verhinderte angeblich zweimal seine Verhaftung. Washington wusste, dass Pakistan Atomwaffen baute, doch das stellte für die USA keine Bedrohung dar. Dass Nordkorea ebenfalls durch Pakistan zur Atommacht wurde, war anfangs eine Art geduldeter Kollateralschaden.

Gefährliche Defensive

Die Vereinigten Staaten sind selbst nicht unschuldig an Nordkoreas atomarer Aufrüstung. Sie hatten seit den 90er-Jahren das Land mit Leichtwasserreaktoren ausgerüstet – damit Nordkorea im Gegenzug sein Atomwaffenprogramm aufgebe. Angeblich, so hieß es damals beim US State Department, können solche "harmlosen" Reaktoren nicht zum Bau von Massenvernichtungswaffen genutzt werden. Experten waren da anderer Meinung.

Dass Kim Jong-un sich nicht an internationale Regeln hält, ist bekannt. Sonst würde er nicht mehr Gefangene denn je, darunter auch Ausländer, in die Arbeitslager schicken. Sonst würde er auch nicht ohne Skrupel seine wichtigsten Kader, sogar Verwandte hinrichten lassen. Seine Säuberungsaktionen wirken erratisch und sind für viele Experten ein Zeichen der Unsicherheit.

Gleichzeitig hat der Diktator bewiesen, dass man ihm weder mit Diplomatie noch mit internationaler Verdammung und härtere Sanktionen beikommen kann. Nicht einmal China, sein letzter Verbündeter, kann Kim Jong-un kontrollieren. Die internationale Isolierung treibt ihn eher noch weiter in die gefährliche Defensive.

Quelle: n24.de

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