Watson ist keine klassische Software-Applikation. „Vielmehr handelt es sich um ein modular aufgebautes Lösungs-Portfolio, das immer weiter wächst“, sagt Dirk Heitmann, Leiter Cognitive Solutions für den deutschsprachigen Raum. Die Anwendungsfelder sind sehr unterschiedlich. So könne etwa ein Hersteller von Tiernahrung seinen Absatz durch den Einsatz von Watson optimieren. Statt des klassischen Weges über Werbung oder Mailings, könnte das Unternehmen nämlich auch einen anderen Weg einschlagen – über die Bilderkennung. „Was wäre, wenn ein Hundebesitzer seinen Hund fotografieren würde, eine App die entsprechende Rasse identifizieren würde und ihm dann sagen kann, welches Futter für diese Rasse besonders empfehlenswert ist“, so Heitmann. So etwas sei bereits möglich. Zur Anwendung komme hier ein Bilderkennungsmodul, das „mit etwas Training“ Hunderassen und zum Beispiel auch Altersstufen zu erkennen lernt und daraus Vorschläge ableitet. Verknüpfe man das dann mit weiteren Modulen, die etwa auf Vorhersagen spezialisiert sind und mit dem Menschen in echter Sprache kommunizieren können, dann könne man relativ einfach eine App bauen, die einen echten Beratungswert für Hundebesitzer liefert.
„Der modulare Einsatz von Watson-Lösungen spielt also nicht nur im Umfeld von Banken oder Unternehmen mit riesigen Datensätzen eine entscheidende Rolle“, so Heitmann. Vielmehr seien damit „der Kreativität bei der Entwicklung von Apps kaum noch Grenzen gesetzt, egal um welche Größenordnung es geht.“
Bedürfnisse antizipieren, Qualität verbessern
Laut Thomas Ross, Partner, IBM Global Business Services, Daniel Welzer, CEO arvato CRM Solutions Deutschland, und Thorsten Hanisch, Mitglied der Geschäftsleitung von arvato CRM Solutions, ist das System zum Beispiel auch für den ergänzenden Einsatz im Kundenservice prädestiniert. So müssten Kundenberater im Servicecenter in Sekundenschnelle auf ihre Gesprächspartner reagieren. Meist stünden dafür aber nur sehr rudimentäre Informationen über das bisherige Kontakt- und Kaufverhalten des Gegenübers zur Verfügung, „obwohl theoretisch sehr viel mehr Details in den verschiedenen Systemen und Datenbanken des Unternehmens schlummern“.
Die unterschiedlichen Informationen über Anliegen und Probleme, Kaufverhalten oder Kanalpräferenzen könnten mithilfe von kognitiven Technologien systematisch für den Kundendialog genutzt werden. „So können mit der Integration von Watson-Technologien in heutige CRM-Lösungen eine Vielzahl an Kundendaten aus den verschiedenen Kontaktkanälen in Echtzeit zusammengeführt, ausgewertet und daraus konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Damit wird es künftig sehr viel einfacher, die Bedürfnisse und Kaufabsichten des Kunden, seine Loyalität und Kanalpräferenzen auf Basis seiner bisherigen Verhaltens- und Kommunikationsmuster bereits in dem Moment zu antizipieren, in dem er sich mit seinem Anliegen an das Service Center wendet. Gleichzeitig wird damit eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um Produkt- und Informationsangebote bedarfsgerecht und individuell auf den Kunden zuzuschneiden“, so die Fachleute in einem Think Blog von IBM.
Die Entwicklungen würden ihres Erachtens aber noch sehr viel weitergehen: „Als virtueller Supervisor wertet die CRM-Lösung in Zukunft mit Hilfe von Watson alle vorhandenen Kundendaten in Echtzeit aus und steht dem Kundenberater im Service Center mit konkreten Ratschlägen im Verlauf des Kundengesprächs zur Seite“. Kontaktiere ein Kunde beispielsweise das Service Center, um das Datenvolumen seines Mobilfunkvertrags zu vergrößern, bemerke der virtuelle Supervisor sofort, dass sein Vertrag bald auslaufe und schlage dem Kundenberater ein passendes Angebot inklusive neuem Smart Phone vor. Dabei werde auch berücksichtigt, dass der Gesprächspartner auf der Website zuvor ein bestimmtes Modell schon mehrmals angeschaut und im Chat auch schon Fragen dazu gestellt habe. „Das Ergebnis: Der Kunde wird durch die Bereitstellung von Kontextinformationen und Handlungsempfehlungen für den Kundenberater in den Genuss einer deutlich individuelleren und auf seine Interessen abgestimmten Beratung kommen.“
Auch an anderen Stellen im Kundenservice ist IBM aktiv: Unter anderem hat IBM gemeinsam mit einem großen deutschen Versicherer und der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München in einem gemeinsamen Projekt gezeigt, wie man automatisiert und zuverlässig „Unmutsäußerungen“ in Kundenschreiben identifizieren und zielsicher an den richtigen Sachbearbeiter beziehungsweise die Sachbearbeiterin weiterleiten kann.
Abkehr vom lästigen Telefonmenü
Interessant seien Heitmann zufolge solche Ansätze aber nicht nur für die Geschäftswelt. Auch Kommunen könnten auf solche Assistenten zurückgreifen, indem zum Beispiel im Mensch-Maschine Dialog am Telefon bereits das Thema eingegrenzt wird, für das sich der Bürger konkret interessiert. In der Konsequenz bedeutet das eine Abkehr von lästigen Telefonmenüs, die den Anrufer schon im Vorfeld zermürben und vielleicht sogar davon abhalten könnten, überhaupt zum Hörer zu greifen.
Watson spricht mittlerweile übrigens nicht nur Englisch. Viele Watson-Lösungen beherrschen schon die deutsche Sprache, für andere steht Deutsch auf der Prioritätenliste ganz oben zur Einführung noch in 2016. Auch Spanisch, brasilianisches Portugiesisch, Japanisch und Arabisch gehört mittlerweile zum Repertoire.
Aber Watson wird auch hier den Dialog mit einem Menschen nicht vollkommen ersetzen. Das wollen weder die Kunden noch die Call-Center-Verantwortlichen: Denn dass sich die Verbraucher auch in Zukunft mehrheitlich weiterhin „eine menschliche Stimme“ in der Beratung wünschen, zeigt unter anderem die Studie „Omnikanal-Monitor 2015“, in der arvato CRM Solutions und CSC die Kanalpräferenzen von deutschen Verbrauchern abgefragt hat. Das Ergebnis spricht für sich: Insbesondere bei Beschwerden bevorzugen immer noch 60 Prozent der rund 1.000 Befragten den direkten Kontakt zum Unternehmen per Telefon.
Die Implementierung von Watson in Unternehmen ist in der Regel in verschiedene Phasen aufgeteilt. „Oft beginnt es mit einem Proof of Concept, einem Testfall, was das System für eine spezifische Fragestellung zu leisten vermag. Hierbei geht es um die Vorbereitung und die Frage, welches Wissen Watson sich wie aneignen soll? Diese Prototypen münden dann in erste konkrete Aufgabenstellungen und Trainings, wobei das System mit der Zeit immer leistungsfähiger wird“, sagt Heitmann. Der Lernprozess setze sich also immer weiter fort. Relevante Wertschöpfungen könnten jedoch meist schon in einem sehr frühen Stadium des Trainings und Einsatzes von Watson erzielt werden.
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