Deutschlands Bürgermeister sind Hassobjekte geworden

  27 Juni 2016    Gelesen: 630
Deutschlands Bürgermeister sind Hassobjekte geworden
Hassmails und Gewaltdrohungen: In jeder zweiten Gemeinde werden Bürgermeister und Mitarbeiter wegen der Asylpolitik angefeindet. Eine Mehrheit fühlt sich von der Bundesregierung alleingelassen.

Mike Rexforth ist ein hemdsärmeliger Typ. Kurze blonde Stoppelhaare, athletischer Typ. So schnell haut den 47-Jährigen nichts um. Und doch haben die Ereignisse der vergangenen Monate an ihm genagt. Denn der Bürgermeister aus Schermbeck in Nordrhein-Westfalen wurde zur Zielscheibe des Hasses einiger Bürger seiner Gemeinde. Der Grund dafür ist die Flüchtlingskrise.

Seit August 2015 hat Rexforth viele Hassmails und -briefe halten, wurde auf der Straße offen angefeindet und teilweise bedroht. Ein zunächst Unbekannter terrorisierte ihn nächtelang mit anonymen Anrufen, bis eine Fangschaltung den Mann Ende März 2016 stoppte.

"Jeder persönliche Angriff stärkt mich"

"Ich habe nie daran gedacht, aufzugeben", sagt Rexforth. "Das wäre das völlig falsche Zeichen, dann würden diese hasserfüllten Menschen die Oberhand in unserem Land gewinnen. Jeder persönliche Angriff stärkt mich", sagt er trotzig. Auch wenn die Balkanroute längst dicht ist, seit November keine neuen Flüchtlinge mehr in Schermbeck eingetroffen sind – die Ablehnung einer kleinen Gruppe von Bürgern hält an.

Für Rexforth ist das auch deshalb unverständlich, weil ihm die Krise von der Bundesregierung aufgezwungen wurde. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sie pragmatisch zu lösen. Die Flüchtlinge brachte er dezentral unter, fand Wohnungen und viele freiwillige Helfer im Ort. "Sie sind gut integriert", glaubt Rexforth. Darauf ist er stolz.

Hassmails, Schmierereien, tote Ratten

Anfeindungen wie Mike Rexforth erleben laut einer Umfrage von "Kommunal" viele Bürgermeister in Deutschland. Das Magazin hat 1000 Stadtoberhäupter in Kommunen mit 10.000 bis 80.000 Einwohnern befragt. Demnach werden die Amtsträger seit Monaten von einer Hasswelle überrollt. In jeder zweiten deutschen Kommune (47 Prozent) sind laut der Erhebung Bürgermeister, deren Mitarbeiter oder Gemeinderäte im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik persönlich beleidigt oder beschimpft worden.

Im Einzelnen gaben 33 Prozent der Bürgermeister an, sie selbst seien angefeindet worden; ein Viertel von ihnen sagte, dass Kollegen in der Verwaltung betroffen waren. 14 Prozent berichteten, Gemeinderäte seien angegangen worden.

Das Spektrum der Anfeindungen ist groß: Die Rede ist von Hassmails über Schmierereien an Hauswänden bis hin zu toten Ratten vor der Haustür. So geschehen bei einem Bürgermeister in Sachsen-Anhalt.

Auch explizite Gewaltdrohungen gibt es. So berichtete Herfords Bürgermeister Tim Kähler (SPD), dass ihn seit Monaten Hassbriefe erreichten. "Mir wurde schon anonym angedroht, dass mir der Schädel eingeschlagen wird, wenn ich so weitermache", sagte Kähler der "Neuen Westfälischen". Körperliche Angriffe sind die Ausnahme: Laut der Umfrage wurden drei Prozent der Bürgermeister oder sonstigen Gemeindemitarbeiter physisch attackiert.

"Die Menschen kennen keine Grenzen mehr"

Angesichts der bedrohlichen Stimmung ist es kaum verwunderlich, dass sich mehr als die Hälfte der Bürgermeister in der Flüchtlingspolitik von der Bundesregierung im Stich gelassen fühlt. Auch Landesregierungen machen ihren Job demnach nicht ordentlich: Fast 40 Prozent der befragten Bürgermeister äußerten sich unzufrieden mit deren Rolle. Viel besser wird von einer großen Mehrheit die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Landkreisen eingeschätzt. Hier nannten lediglich 15 Prozent der befragten Bürgermeister Defizite.

Wie blicken die Bürgermeister in die Zukunft? Mehr als die Hälfte der befragten Bürgermeister war sich sicher, dass ihre Gemeinde an ihre Grenzen stoßen würde, falls sich der Flüchtlingsstrom aus dem vergangenen Jahr wiederholen sollte. 14 Prozent fühlen sich laut der Umfrage bereits heute von der Flüchtlingskrise überfordert. Etwa ein Drittel machte sich keine Sorgen, nach dem Credo von Kanzlerin Angela Merkel (CDU): "Wir schaffen das."

Bürgermeister Rexforth ist vor allem über die Vehemenz der Ablehnung seitens einiger Bürger überrascht. Schon in den 90er-Jahren war er in der Verwaltung tätig und dafür verantwortlich, Flüchtlinge vom Balkan in Schermbeck zu integrieren. "Das waren um die 500 Personen", erinnert sich Rexforth. Also viel mehr Menschen, als derzeit Flüchtlinge im Ort sind. Dennoch war die Stimmung damals gelassener.

"Es hat sich etwas verändert im Land", sagt Rexforth. Eine Entwicklung, die ihm Sorgen bereitet. "Die Menschen kennen keine Grenzen mehr." Besonders geärgert hat ihn auch das Verhalten der Staatsanwaltschaft in seinem Fall. Sie hat das Verfahren gegen den anonymen Anrufer eingestellt – angeblich, weil das besondere öffentliche Interesse fehle. Rexforth findet: "Ein ermutigendes Zeichen an alle, die ihren Hass verbreiten wollen."

Quelle: welt.de

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