Letzte Chance für den Wirecard-Vorstand

  08 Juni 2020    Gelesen: 991
Letzte Chance für den Wirecard-Vorstand

Vorstandschef Markus Braun will endlich die immer wieder verschobene Bilanz vorlegen, denn auch seine Zukunft hängt am Urteil der Wirtschaftsprüfer. An der Börse wird das Unternehmen für eine Durchsuchung im Zusammenhang mit einer Bafin-Anzeige abgestraft.

Die Aktie des umstrittenen Zahlungsdienstleisters ist zum Wochenstart eingebrochen, weil die Finanzaufsicht Bafin den Vorstand wegen möglicher Marktmanipulation angezeigt hat. Das ist bloß der jüngste Ausschlag in einer langen Negativserie von Ereignissen, die das Vertrauen der Anleger in die Transparenz und Glaubwürdigkeit des Unternehmens erschüttert haben.

Wenn Markus Braun, der Vorstandsvorsitzende von Wirecard, in zehn Tagen die Jahresbilanz seines Konzerns vorlegt, werden die Zahlen zu Umsatz und Gewinn eine untergeordnete Rolle spielen. Viel wichtiger ist die Frage, ob die Wirtschaftsprüfer von EY (vormals Ernst & Young) zuvor ein uneingeschränktes Testat abgegeben haben. Denn von diesem EY-Urteil hängt zum einen die Glaubwürdigkeit des Dax-Konzerns ab, der für Händler und Verbraucher in aller Welt Zahlungen im Internet abwickelt. Zum anderen entscheidet EY indirekt auch über das Schicksal von Braun und seinen drei Vorstandskollegen, deren Verträge allesamt am Jahresende auslaufen: Ohne lupenreines Testat, so viel dürfte ihnen klar sein, kann der Aufsichtsrat dem Vorstand unmöglich das Vertrauen aussprechen. 

Der Druck sei jetzt „maximal groß“, heißt es in der Konzernzentrale in Aschheim bei München. Dort war am vergangenen Freitag die Staatsanwaltschaft München I mit einer Handvoll Beamter angerückt und hatte die Geschäftsräume durchsucht sowie die Festplatten der Computer kopiert. Auslöser für die Razzia war eine Strafanzeige der Finanzaufsicht Bafin wegen des Verdachts auf Marktmanipulation im Vorfeld der Veröffentlichung des KPMG-Sonderberichts Ende April.

Beschädigtes Vertrauen am Kapitalmarkt

Die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft und die Anzeige der Bafin haben die Position von Braun, der Wirecard binnen zwei Jahrzehnten von einem Start-up-Unternehmen zu einem führenden Technologiekonzern gemacht hatte, erheblich geschwächt. Erfolge in der Vergangenheit zählen jetzt nicht mehr, es geht allein darum, das beschädigte Vertrauen am Kapitalmarkt zurückzugewinnen. Selbst langfristig orientierte Investoren zweifeln an der Führung, die Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka forderte gar den Rücktritt Brauns und angelsächsische wetten ohnedies seit Monaten Unsummen darauf, dass der Aktienkurs von Wirecard weiter abstürzt. Deshalb ist das EY-Testat so wichtig.

Der Druck ist aber auch auf Seiten der Abschlussprüfer enorm. EY hat sein Testat bereits verschoben, um den kritischen KPMG-Bericht berücksichtigen zu können. An diesem Montag wird eine Gruppe von Privataktionären eine Klage gegen EY einreichen. Sie werfen den Prüfern eine Bestätigung „ins Blaue hinein“ vor. Nach Einschätzung der Rechtsanwälte Wolfgang Schirp und Marc Liebscher, die die Anleger vertreten, hat EY im Bestätigungsvermerk für den vergangenen Jahresabschluss nicht moniert, dass für rund 1 Milliarde Euro angebliche Treuhandguthaben keine Saldenbestätigungen vorgelegen haben: „Das Nichtvorliegen der Saldenbestätigungen ergibt sich nach unserem Dafürhalten aus dem KPMG-Bericht. Bei einer solchen Sachlage hätte das Testat von EY entweder eingeschränkt oder zumindest um eine Ergänzung erweitert werden müssen.“

Für diese Treuhandkonten hatte KPMG keine Belege aus erster Hand erhalten und das im Sondergutachten entsprechend kritisiert: „Hinsichtlich der Höhe und Existenz der Umsatzerlöse aus den TPA-Geschäftsbeziehungen (...) kann KPMG als Ergebnis der durchgeführten forensisch geprägten Untersuchungshandlungen in Bezug auf den Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 weder eine Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse existieren und der Höhe nach korrekt sind noch die Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse nicht existent und in der Höhe nicht korrekt sind.“ Im sogenannten TPA-Geschäft (Third-Party Acquiring) fallen Zahlungen an, die Wirecard zwar abwickelt, bei denen aber Partnerunternehmen den Kontakt zu den Händlern vor Ort halten. Solche Geschäfte macht Wirecard in Ländern, in denen es keine eigene Lizenz als Zahlungsdienstleister besitzt. Wirecard hat stets dementiert, Bilanzen frisiert und Umsätze erfunden zu haben. Auch die KPMG-Prüfer fanden dafür keine Belege – aber sie bemängelten in ihrem 74-seitigen Sonderbericht die Strukturen der Organisation und Schwächen in der Dokumentation.

Die Vorlage des KPMG-Berichts wurde mehrfach verschoben. Darüber informierte Wirecard in zwei Ad-hoc-Mitteilungen, die nun in den Fokus der Bafin geraten sind. Dabei geht es insbesondere um jene Mitteilungen vom 12. März und 22. April dieses Jahres. Der Aufsicht dürfte nicht gefallen haben, dass beide Ad-hoc-Mitteilungen den Eindruck erweckten, KPMG habe ein entlastendes Ergebnis erzielt und sämtliche Vorwürfe gegen Wirecard könnten entkräftet werden. Als das KPMG-Gutachten am 28 April mitsamt der darin enthaltenen Kritik dann vorgelegt wurde, rauschte der Aktienkurs um 40 Prozent nach unten. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft München I, die ein Verfahren gegen den gesamten Vorstand eingeleitet hat: Der Marktmanipulation beschuldigt werden damit Wirecard-Chef Braun, Finanzvorstand Alexander von Knoop, Chief Operating Officer Jan Marsalek und Chief Product Officer Susanne Steidl.

Und wenn es zu einer Anklageerhebung kommt?

Das schwebende Verfahren setzt auch den Aufsichtsrat um Chefkontrolleur Thomas Eichelmann erheblich unter Druck. Eichelmann kündigte vor Wochen eine Verbesserung der Compliance und die Aufstockung des Vorstands um drei Manager an, um der Vertrauenskrise des Unternehmens entgegenzuwirken.

Zum 1. Juli besetzt der Deutsche-Börse-Manager James Freis die eigens geschaffene Vorstandsposition des Chief Compliance Officer. Mit der Suche nach zwei weiteren Vorständen sind zwei renommierte Personalagenturen beauftragt. Aber Eichelmann kann unmöglich alle vier Vorstände entlassen. Wegen einer Strafanzeige, heißt es aus Kreisen des Aufsichtsrats, werde niemand aus dem Führungsgremium abberufen. Was aber, wenn die Prüfer von EY dem Vorstand nur ein eingeschränktes Testat erteilen? Oder wenn es in einigen Monaten gar zu einer Anklageerhebung kommt?

Dann dürfte selbst Vorstandschef Braun nicht mehr zu halten sein. Bisher galt der 51 Jahre alte Österreicher an der Konzernspitze als unersetzbar, ist er doch Strategie- und Innovationstreiber. Außerdem ist er Großaktionär mit mehr als 7 Prozent der Wirecard-Aktien. Vor Pfingsten hatte Braun seine Beteiligung noch einmal aufgestockt. Diese Aktienkäufe untersucht die Bafin auf einen möglichen Insiderhandels-Verdacht.

FAZ.net


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