Mit der Bibel konnte Marjolein Khan-Kamp, die heute in Freiburg lebt, noch nie etwas anfangen. «Ich habe mich gefragt: Warum sollen alle Menschen Erbsünder sein? Und warum ist Jesus der Sohn Gottes?», sagt die junge Frau aus Freiburg. Ihre Eltern sind streng protestantisch. Mehrere Jahre lang nahm sie sich als Jugendliche Zeit und suchte nach Antworten «beim Pfarrer und in Büchern». Sie las auch über andere Religionen, Hinduismus und Buddhismus. Am Ende stand die Erkenntnis: «Ich kann das nicht glauben.»
Eine muslimische Freundin habe sie immer wieder mit zu ihrer Familie genommen. «Langsam habe ich meine Vorurteile abgebaut. Ich dachte, das ist eine Religion für Ausländer und die Frauen werden unterdrückt.» Aus Interesse las Khan-Kamp den Koran. «Gleich auf den ersten Seiten wurden meine Fragen beantwortet.» Denn im Koran habe Gott Adam und Eva vergeben. «Es gab so viele Gemeinsamkeiten mit dem Islam und ich fragte mich: Was, wenn ich eine Muslima bin?»
Dann ging alles ganz schnell. Denn Konvertieren zum Islam ist einfach: «Man muss nur vor zwei Zeugen das Glaubensbekenntnis sprechen und schon ist man ein Muslim», sagt sie. Das heißt, dass man an Gott glaube und das Mohammed der letzte Prophet sei, ist eine persönliche Sache.
«Keiner muss einen Religionsunterricht besuchen und sich jahrelang ausbilden lassen. Wichtig ist nur die Bereitschaft, ehrlich zu sein und Gutes zu tun», zitiert die dpa Sozialpädagoge Reza Begas. Der 33-Jährige berät im Islamischen Zentrum Freiburg ehrenamtlich rund 20 bis 30 Menschen pro Jahr, die konvertieren wollen. «Meist sind es Menschen zwischen 16 und 60», sagt Begas. Gerade bei jungen Menschen sei die Gefahr groß, dass sie sich radikalisierten. «Zuerst leben sie einen sehr ausufernden Lebensstil, dann schlagen sie ins andere Extrem um und glauben, dass sie den Koran wörtlich nehmen sollen», sagt er.
Offiziell gibt es nach Angaben des Islamarchivs in Soest rund 30 000 Konvertiten, die von den Gemeinden gemeldet werden. «Aber die Dunkelziffer von Menschen, die zum Islam wechseln, ist viel höher», sagt der Leiter des Archivs in Soest, Muhammad Salim Abdullah. Dass der Islamübertritt nicht erfasst wird, «ist ungewöhnlich in einem so organisierten Land wie Deutschland», sagt er.
Khan-Kamp war schon Muslimin, bevor sie ihren pakistanischen Mann kennenlernte. Dass sie ihre Haare bedeckt, war ihre eigene Entscheidung. «Mit Kopftuch fühle ich mich frei», sagt sie. «Als ich zum Studium nach Freiburg kam, wollte ich es ausprobieren.» Zuerst habe sie es nur zur Probe in der Wohngemeinschaft getragen, dann auch zum Einkaufen. «Ich fand es toll, dass ich auf Partys von Männern alleine gelassen wurde. Ich wollte nur tanzen», sagt sie.
Bei ihren Eltern stieß Khan-Kamp zunächst auf Widerstand: Zu Beginn habe sie dort kein Kopftuch tragen und auch nicht beten dürfen. Auch in ihrer neuen Heimat «ruft ein Kopftuch gleich den Verfassungsschutz auf den Plan», behauptet die Freiburgerin. Für sie sei es mit Kopftuch schwieriger, einen Job zu finden; wenn ihr Sohn älter ist, will sie wieder als Sozialarbeiterin tätig sein – «vielleicht auch in den Niederlanden».
Die Motive von Islamisten für ihren Terror kann Khan-Kamp nicht nachvollziehen, «die haben irgendetwas falsch verstanden, der Koran ist gegen sinnlose Gewalt. Terrorismus ist sogar verboten.» Nach neuen Terroranschlägen denke sie oft: «Oh Gott, nicht schon wieder.» Genauso wenig aber hat sie Verständnis für Vorurteile gegenüber Muslimen. «Eine muslimische Person, die ein Verbrechen begeht, ist nie eine einzelne verrückte Person. Für viele Menschen muss das immer was mit der Religion zu tun haben», beklagt sie.
Mit Kopftuch begegnen ihr Menschen auf der Straße anders: «Manchmal rufen Leute mir zu: Geh zurück in Dein eigenes Land. Natürlich bin ich Ausländerin, aber ich glaube nicht, dass sie meinen, ich soll zurück nach Holland gehen.» Dann wird sie nachdenklich: «Religion hat nichts mit Kultur zu tun. Es gibt doch auch Deutsche, die zum Islam konvertieren. Das ist doch ihr Land. Wo sollen die denn hin?»
Tags: